Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
hüten muss.«
Sie schluckte und presste die Faust vor den Mund, weil sie plötzlich tatsächlich von solcher Übelkeit gepackt wurde, dass sie sicher war, vergiftet worden zu sein. Erst nach mehreren grauenvollen Augenblicken fiel ihr ein, dass sie hier im Palast nichts gegessen oder getrunken hatte. Wenigstens das hatte sie eisern durchgehalten und war froh darüber, sonst hätte sie sich jetzt nicht für Lorenzo verwenden können.
»Er ist unschuldig«, platzte sie heraus.
»Wir werden ihn verhören lassen, dann werden Wir Uns ein Urteil darüber bilden.«
»Ihr dürft ihn nicht foltern!«, schrie sie.
Sie merkte, dass ihr Ton in seinen päpstlichen Ohren unbotmäßig klingen musste und brach fast zusammen vor Furcht, ihn verstimmt zu haben. »Verzeiht!«, stammelte sie.
»Wenn Ihr Uns etwas über die wahren Täter zu sagen habt, so tut es jetzt«, befahl Alexander mit müder Stimme.
Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatte, wagte sie, ihn direkt anzusehen. Es traf sie wie ein Schlag, als sie erkannte, dass er geweint hatte. Im Licht der überall brennenden Kerzen waren seine Augen rot und geschwollen, seine ganze Gestalt von grenzenlosem Leid gezeichnet.
»Meine Tochter hat sich in ein Kloster zurückgezogen«, sagte er plötzlich tonlos. »Zum Abschied kam sie zu mir und umarmte mich. Dabei flüsterte sie mir etwas ins Ohr. Wollt Ihr wissen, welche Worte sie zu mir sagte?«
Sanchia nickte wie vom Donner gerührt. Wieder war ihr schlecht, und sie blickte sich hastig um. Der Impuls, so schnell wie möglich die Flucht zu ergreifen, war übermächtig, doch gleichzeitig war ihr klar, dass das vollkommen unmöglich war. Entsetzt zuckte sie zurück, als sie den seltsamen Wandschmuck zu ihrer Rechten sah: Überall hingen ausgestopfte Unglücksvögel: Eulen, Krähen, sogar Fledermäuse.
Alexander lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Sie sagte: Frag Madonna Sanchia, sie kann dir mehr erzählen als ich.«
Sanchia starrte ihn entgeistert an, während er sich in einen Lehnstuhl sinken ließ und den Kopf in beide Hände stützte.
»Ich habe es getan. Ich habe mit meiner Schwiegertochter gesprochen, stundenlang. Sie hat standhaft jede Beteiligung abgestritten.«
»Ihr habt … Aber ich …« Sie verstummte und schaute ihn verständnislos an.
»Ihr tragt zufällig denselben Namen wie meine Schwiegertochter. Joffres Gattin. Sie heißt genau wie Ihr. Es schreibt sich nur anders, Sancia – auf spanische Art. Als Lucrezia mir den Namen nannte, ging ich natürlich davon aus, dass meine Schwiegertochter gemeint war. Es … lag nahe.«
Sanchia nickte unwillkürlich. Natürlich lag es nahe, alle Welt wusste, wie nahe es lag. Diese Sancia hatte mit ihrem Schwager Juan ein Verhältnis gehabt, und in der Nacht seines Todes war sie eine der letzten Personen gewesen, die ihn lebend gesehen hatte.
»Erst heute Nachmittag fand ich heraus, wen Lucrezia wirklich meinte. Euch.« Er schaute sie aus trüben Augen an. »Burchard wusste zu berichten, dass Ihr Euch mehrfach meiner Tochter genähert hattet.«
»Das ist nicht wahr«, entfuhr es Sanchia. »Sie hat mich geholt!«
»Erzählt mir alles darüber.«
Sie schaute ihn an und begriff plötzlich, dass sie nur diese eine Chance hatte. Wenn sie es jetzt verpatzte, wäre Lorenzo verloren.
»Mein Mann ist unschuldig, und ich werde es Euch bis ins Kleinste belegen. Aber Ihr müsst mir vorher versprechen, dass Lorenzo anschließend unbeschadet freikommt.«
Er blickte sie schweigend an, und während ihr das Herz bis zum Hals schlug, erhob er sich wieder. Mit bedachtsamen Schritten kam er auf sie zu. Er war nicht mehr der strahlende, jugendlich wirkende Erfolgsmensch, den sie noch in der vergangenen Woche auf der Abendgesellschaft des Kardinals gesehen hatte. Vor ihr stand ein gebrochener Mann, dem man die nahenden Siebziger ansah.
Mit geröteten Augen blickte er auf sie nieder. »Ich verspreche es Euch.«
»Schwört es!«
»Ich schwöre beim Leib Christi.«
»Nein, beim Leben Eurer Tochter.«
»Ihr verlangt viel, mein Kind.« Seine Miene war angespannt. »Also gut, ich schwöre bei ihrem Leben.« Er ging zu dem Sessel zurück und setzte sich. »Die Wahrheit. Ich will nichts weiter als die ganze Wahrheit wissen. Sonst zerreißt es meine Seele.«
Sanchia stieß den angehaltenen Atem aus. »Es wird Euch schrecklich wehtun«, flüsterte sie.
»Schlimmer als jetzt kann es nicht werden«, sagte er leise. »Sprecht und schont mich nicht.«
Sie tat es und erzählte
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