Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Temperamalerei.«
Sanchia fand seine Kunstwerke allesamt erstaunlich gelungen und schwatzte ihm ein Portrait von Agostino ab, damit sie eine Erinnerung mit nach Venedig nehmen konnte. Sie bat ihn auch, ihr das Bild zu überlassen, das er von ihr gemalt hatte, eine hübsche Miniatur, auf der sie überraschend gut getroffen war. Sie wollte es Lorenzo im August zum Namenstag schenken.
»Ihr könnt ja ein neues malen«, meinte sie. Lächelnd fügte sie hinzu: »Falls Euch als zweifacher Vater noch die Zeit dazu bleibt.«
Er nickte bloß. Ihm war anzusehen, dass ihn Sorgen plagten. Sanchia glaubte zunächst, es hinge mit Eleonoras Problemen zusammen, doch dann erfuhr sie, dass ihn noch andere Schwierigkeiten beschäftigten.
»Wir sind mit den Orsinis verwandt. Nur entfernt, aber es reicht, um alle Zweige der Familie in einen Akt von Blutrache hineinzuziehen. Es ist schon öfter vorgekommen. Nicht die letzten paar Jahre, aber es ist auch nicht so lange her, dass ich mich nicht daran erinnern könnte. Wir mussten monatelang auf dem Land in Hütten hausen, bis sich die Lage in der Stadt beruhigt hatte.«
Damals waren es die Colonna gewesen, die all diejenigen niedergemacht hatten, die sich zur Familie derer von Orsini zählten. Jetzt ging die Gefahr von den Borgia aus. Der Tod Juans bot Anlass für zahlreiche Durchsuchungen, Verleumdungen und Verhaftungen.
An erster Stelle der Verdächtigen stand Joffre, der jüngste Bruder des Ermordeten. Die Affäre seiner Frau mit Juan wurde allgemein als guter Grund betrachtet, Rache zu üben. Außerdem wurde Giovanni Sforza zum Kreis der möglichen Täter gezählt, weil man glaubte, seine überstürzte Flucht an Karfreitag müsse in irgendeiner Verbindung mit dem plötzlichen Tod Juans stehen. Die Orsini kamen natürlich ebenfalls als Mörder in Betracht, sie hatten nach dem ungeklärten Tod ihres Familienoberhaupts und seines Sohnes genug Anlass, sich zu rächen. Und schließlich galt Kardinal Ascanio als Verdächtiger ersten Ranges, war doch auf Juans Geheiß sein Lieblingskämmerer umgebracht worden.
Die wildesten Spekulationen machten in der Stadt die Runde, und die Spanier aus dem Gefolge der Borgia gingen nur noch mit gezückten Waffen durch die Straßen. Angst und Aufruhr beherrschten das Leben in Rom, und nachdem Sanchia aus unmittelbarer Nähe Zeugin eines tödlichen Kampfes zwischen Vatikansoldaten und Männern aus der Familie Orsini geworden war, traute sie sich überhaupt nicht mehr aus dem Palast. Lorenzo, der hektisch von einer Krisenbesprechung zur nächsten eilte, kam abends restlos erschöpft zurück und war kaum ansprechbar. Sanchia versuchte, ihn zur Abreise zu bewegen, doch es war klar, dass das in dieser Situation schlecht möglich war. Folglich blieb ihr nur, zu warten und zu hoffen, dass alles bald ein gnädiges Ende nehmen möge.
Sanchia merkte zuerst nicht, dass etwas nicht stimmte. Erst, als es am Abend eines der darauf folgenden Tage immer später wurde und Lorenzo nicht von seinen Gesprächen zurückkehrte, wurde sie allmählich unruhig. Sie lief im Zimmer umher und lauschte, und wann immer sie auf dem Gang Schritte hörte, glaubte sie, er wäre endlich da. Jedes Mal rannte sie sofort los und riss die Tür auf, um nachzusehen. Doch es war immer jemand anderer, der dort vorbeiging. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, allein zu warten. Sie legte ihre Haube an und begab sich innerhalb des Palastes auf die Suche. Sie irrte durch die Gänge und über die Treppen, hielt an allen Ecken Gäste, Wächter, Diener und Zofen an und fragte nach dem venezianischen Gesandten, doch sie erhielt immer nur dieselbe Auskunft: Niemand hatte ihn gesehen. In panischer Angst, ihm könne bei den blutigen Zweikämpfen in den Straßen der Stadt etwas passiert sein, bat sie einen der wachhabenden Gardisten, sie zu den Quartieren der Dienstboten zu begleiten, wo sie Ercole und seine Männer antraf und ihnen auftrug, in der Umgebung des Vatikans nach Lorenzo zu suchen.
Ercole machte sich sofort mit Tsing und den Gascognern auf den Weg, während Sanchia wieder in den Palast zurückkehrte und dort die Suche nach ihrem Mann fortsetzte.
Im Gang vor ihrem Gemach traf sie auf Johann Burchard, den Zeremonienmeister des Papstes. Bei ihren wenigen, kurzen Begegnungen in der Bibliothek war sie stets angetan gewesen von seiner stillen Höflichkeit. Er war untersetzt und beleibt und hatte eine rot geäderte Nase, vermutlich vom reichlichen Weingenuss. Beim Gehen hielt er immer leicht
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