Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
ihm alles, und als sie geendet hatte, war sein Gesicht grau und sein Körper in dem Lehnstuhl zusammengesunken.
»Geht«, stieß er hervor.
»Mein Mann …«
»Wir werden Uns darüber noch Gedanken machen.« Er benutzte den Pluralis Majestatis wie eine scharfe Waffe, mit der er sie auf Distanz hielt. »Geht jetzt und lasst Uns allein.«
»Aber …«
»Hinaus.«
Sie taumelte hinaus, denselben Weg zurück, den sie gekommen war.
In den angrenzenden Gemächern traf sie auf Burchard, der sie schockiert anstarrte. Ihr war sofort klar, dass er gelauscht haben musste.
»Bitte schweigt darüber vor anderen, Madonna«, sagte er mit zitternder Stimme. »Sprecht zu niemandem davon, wenn Euch Euer Leben lieb ist! Es darf niemals gesagt oder aufgeschrieben werden, niemals und von niemandem!«
Sie ignorierte ihn und lief weiter, durch das Vorzimmer hinaus auf den Gang, und währenddessen begriff sie, dass sie in doppelter Hinsicht betrogen worden war. Alexander war ein Borgia reinsten Wassers. Er hatte nichts weiter getan als das, was alle Borgia taten: ein grausames Spiel gespielt. Er hatte Lorenzo festgesetzt, wohlwissend, dass er ihn als Druckmittel verwenden würde, um ihr das Wissen abzupressen, das sie ihm voraushatte. Burchard war nicht zufällig vor ihrem Gemach aufgetaucht, sondern mit der festen Absicht, sie gehörig in Angst zu versetzen – und sie gleich darauf zu Alexander zu führen. Nur scheinbar hatte er sich ihrem Verlangen nach einer Audienz beim Papst widersetzt. In Wahrheit hatte dieser bereits auf sie gewartet, um sie aushorchen zu können, während sie noch wie gelähmt vor Panik war. Und dabei hatte er nicht im Traum daran gedacht, Lorenzo wirklich freizulassen. Sie war, das erkannte sie jetzt mit hellsichtiger Schärfe, wie der wunderschöne weiße Singvogel, der zu Apoll geflogen war und ihm von der Untreue seiner Geliebten Koronis berichtet hatte. Apoll hatte den Vogel für das Überbringen der schlechten Nachricht bestraft, indem er seine Farbe in Schwarz und seine Stimme in ein Krächzen verwandelt hatte. Aus dem Singvogel war ein Rabe geworden, ein Vogel des Unglücks.
Wie betäubt stolperte sie durch die Gänge des Palastes, sich hin und wieder rechts und links an den Wänden abstützend, weil ihr schwindlig war von dem eben Erlebten.
Vor ihrem Gemach stand ein Gardist. »Ein Mann möchte Euch sprechen, Madonna. Er wartet vorn am Portal.«
»Lorenzo …?«
Er blickte sie nur verständnislos an und zuckte die Achseln.
Sie stürzte an ihm vorbei, zum Ausgang. Dort wartete Sarpi. Er war kreidebleich und hatte die Arme um den Körper geschlungen, als wäre ihm kalt.
»Ihr müsst kommen«, rief er ihr entgegen.
Eine eisige Hand griff nach ihrem Herzen. »Eleonora?«
Er nickte, das Gesicht starr vor Sorge. »Sie hat ihr Fruchtwasser verloren.«
Als sie eintrafen, hatten bereits die Wehen eingesetzt.
»Es geht Schlag auf Schlag«, jammerte Cornelia. Sie stand in der Tür des Schlafgemachs, den Kleinen an die füllige Brust gepresst. Er klammerte sich an sie und schluchzte verängstigt vor sich hin.
»Holt mir Schnaps«, sagte Sanchia zu Sarpi.
»Aber …«
»Tut es. Es ist nicht für mich, sondern für Eleonora. Cornelia, bring Tino sofort nach oben und komm die nächsten paar Stunden nicht runter.«
Eleonora lag gekrümmt auf dem Bett, voll bekleidet, das Gewand zwischen den Schenkeln von Flüssigkeit durchtränkt. Ihr Gesicht war totenbleich, aber auf seltsame Weise gefasst.
»Das Schicksal löst jetzt seine Schulden bei mir ein«, flüsterte sie.
»Sprich nicht so!«
»Es tut so weh, Sanchia. Wenn es nur nicht so wehtäte!«
Sie meinte nicht die körperlichen Schmerzen, und sie wussten es beide.
Sarpi kam mit einem Krug Schnaps zurück, und Sanchia flößte Eleonora davon ein. »Trink, so viel du kannst.«
Eleonora gehorchte. Sie holte keuchend Luft und verschluckte sich, als der beißende Alkohol durch ihre Kehle rann und im selben Augenblick bereits die nächste Wehe kam. Sanchia goss sich von dem Schnaps über die Hände und untersuchte Eleonora. Sie erkannte sofort, dass die Geburt auch mit noch so viel Schnaps nicht mehr aufzuhalten war. Die Öffnung war nahezu vollständig.
»Gib mir deine Hand«, sagte sie, als die Wehe abgeflaut war.
»Ich verliere es, nicht wahr?«
Sanchia schwieg.
Sarpi setzte sich auf die Bettkante. Verstört blickte er Sanchia an. »Kann es denn nicht leben?«
Sie schüttelte unmerklich den Kopf. Sarpi sackte erschüttert
Weitere Kostenlose Bücher