Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
und begeistert darüber sein, dass er Großonkel wird!«
Auf eine Begegnung mit Francesco Caloprini war Sanchia auch nicht unbedingt versessen, aber darüber konnte sie nicht sprechen. Es hing mit dem Geheimnis zusammen, das sie weiterhin für sich behalten hatte. An manchen Tagen stand es zwischen ihnen wie eine dunkle Wolke, und sie versuchten dann beide, es zu umschiffen wie zwei Boote, die einem Sturm ausweichen mussten.
Zu Hause zog sie sofort die schweren Trauerkleider aus und schlüpfte in ein dünnes, seidenes Gewand, das sie ohne Hilfe einer Zofe an- und ausziehen konnte. Sanchia empfand es immer noch als merkwürdig, für solche selbstverständlichen Verrichtungen wie das An- oder Auskleiden die Hilfe einer anderen Person zu beanspruchen, obwohl sie es im Laufe der Zeit schätzen gelernt hatte, sich weder um ihre Kleidung noch um den Haushalt kümmern zu müssen. Sie hatten Dienstpersonal für alle täglichen Bedürfnisse, von der Köchin über die Putzmagd und die Kammerzofe bis hin zum Hausdiener, der zugleich als Gondoliere fungierte. Sanchia versuchte es von Lorenzos Warte aus zu sehen; er hatte ihr halb im Scherz, halb ernsthaft erläutert, dass all diese Menschen schließlich ihre Familien ernähren mussten und dass es folglich ein Zeichen von Mildtätigkeit sei, Dienerschaft in Lohn und Brot zu halten. Als wesentlich überzeugender empfand Sanchia jedoch letztlich ein anderes Argument: Sie hatte dadurch wesentlich mehr Zeit für ihre eigene Arbeit.
Mit der Geburtshilfe hatte sie schon zu Beginn ihrer eigenen Schwangerschaft aufgehört, es war körperlich einfach zu anstrengend. Stattdessen ging sie jetzt an zwei Tagen in der Woche statt wie vorher nur an einem ins Kloster, um dort im Scriptorium Frauen und Mädchen zu unterrichten. Die übrige Zeit widmete sie sich ihren Studien – und ihrem Mann. Er war seit Monaten nicht auf Reisen gewesen, und sie genoss die gemeinsame Zeit mit ihm so sehr, dass sie manchmal mitten in einer alltäglichen Beschäftigung innehielt, um das Gefühl seiner Nähe bewusster auskosten zu können. Dann schaute sie ihn einfach nur an oder eilte zu ihm, um ihn zu berühren, in dem sicheren Wissen, niemals im Leben so glücklich gewesen zu sein wie mit ihm. Sie wünschte sich inbrünstig, all diese Momente bewahren und festhalten zu können, diese herrliche Leichtigkeit – und ihre Liebe, die sie wie auf Schwingen an seiner Seite durchs Leben trug.
Sie ging in ihren Arbeitsraum und setzte sich an ihr Schreibpult, um den Brief an Eleonora fertig zu stellen, den sie bereits am Vortag begonnen hatte. Jemand musste sie vom Tod ihres Großvaters informieren, schließlich hatte sie ein beträchtliches Erbe zu erwarten. Lorenzo hatte mit dem Notar gesprochen, der den Nachlass verwaltete, und es sah ganz danach aus, als hätte der alte Geizkragen weit mehr an Geld angehäuft, als er auf seine späten Tage mit seinen jungen Sklavinnen hatte durchbringen können. Eine Hälfte des Vermögens erbte seine einzige noch lebende Tochter Caterina, die andere fiel seiner Enkelin Eleonora zu.
Während Sanchia mit einem feinen Messer eine Feder spitzte, betrat Lorenzo den Raum. »Hier bist du. Ich dachte, du legst dich hin, weil du müde bist.«
» So müde war ich nicht. Wenn ich hier mit dir allein bin, geht es mir gleich besser.«
Er lachte sie an, und sie dachte unwillkürlich, wie eigenartig es doch war, dass sie auch nach all den Jahren nicht genug davon bekommen konnte, ihn anzuschauen. Allein ihn lachen zu sehen ließ in Sanchia immer noch dieses unausweichliche Ziehen aufsteigen, von dem sie atemlos und zittrig wurde. Er war zweiunddreißig Jahre alt, mit einem Körper, der so drahtig war wie eh und je, und mit Zähnen, die dank täglicher Pflege makellos waren wie die eines Jünglings. Das durchdringende Blau seiner Augen und die Anziehungskraft seines Gesichts wurden durch die winzigen Fältchen, die sich im Laufe der letzten Jahre eingenistet hatten, eher noch betont.
Er blickte ihr über die Schulter. »Noch nicht fertig mit dem Brief? Was meinst du, kommt sie zurück?«
»Daran zweifle ich nicht. Du weißt ja, was sie über Rom geschrieben hat. Sie wird niemals dort heimisch werden. Jetzt hat sie die Mittel, endlich hier in ihrer Heimat ein sorgloses Leben zu führen. Sie wird Rom so schnell wie möglich den Rücken kehren, und egal, was für eine Meinung Sarpi dazu hat – sie wird dafür sorgen, dass sie ihre Existenz dort aufgeben und hier von vorn
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