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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Totengräbern in die kirchlichen Leichenkammern verbracht hatte, allein oder gemeinsam mit den Angehörigen, aber sie hatte sich nie länger als zur Erledigung der vorgeschriebenen Formalitäten dort aufgehalten, geschweige denn, dass sie je einen der Toten untersucht hätte.
    »Willst du die Kerze halten oder soll ich es tun? Einer von uns beiden muss die Untersuchung durchführen.« Maddalenas Blick glitt über Sanchias teuren seidenen Umhang. »Ich würde meinen, du hältst die Kerze.«
    Sanchia folgte dem Vorschlag sofort bereitwillig. Ihr Magen hatte sich soeben wieder gemeldet, und diesmal war sie sicher, dass es nichts mit Vorfreude zu tun hatte. Dennoch erwachte sofort ihr Interesse, als Maddalena mit Haken und Sonde den großen Bauchschnitt auseinanderzog. Die darüberliegenden Rippen waren ebenfalls durchtrennt, sodass auch der Brustkorb offen lag. Die Enden der Knochen starrten spitz und grauweiß aus dem Fleisch hervor.
    Sanchia hatte ebenso wie Maddalena auf dem Markt und im Schlachthaus schon halbierte Ochsen, Ziegen und Schweine begutachtet, um wenigstens halbwegs eine Erkenntnis zu gewinnen, wie es im Inneren eines Körpers aussah, deshalb traf sie der Anblick nicht unerwartet.
    Der Mann, der vor ihnen auf dem Tisch lag, mochte etwa fünfzig Jahre alt gewesen sein. Er war vielleicht seit drei oder vier Tagen tot, die Verwesung war trotz der warmen Witterung noch nicht allzu weit fortgeschritten. Der Körper war mager, aber die Fettschicht unter der zerfasert zur Seite hängenden Bauchhaut erstaunlich dick. Die weiche, gelbliche Masse unterschied sich von der Konsistenz her nicht sonderlich vom Fett der Tiere, auch nicht die darunterliegende rote Muskelschicht. Auch wiesen die inneren Organe große Ähnlichkeit mit den tierischen auf, vor allem mit jenen des Schweins, nur hatten sie andere Ausmaße.
    »Milz, Magen, Leber«, murmelte Maddalena, während sie mit der Sonde das schleimige, von der vorangegangenen Sektion schon arg mitgenommene Innere der Leiche ergründete. »Sieh dir die Nieren an. Ich glaube, die waren sein Tod.«
    Sanchia war fasziniert. Tatsächlich waren die Nieren kleiner als erwartet, sie wirkten geschrumpft und verhärtet. »Pass auf, dass nichts überläuft«, warnte sie Maddalena, als diese allzu forsch weiter vordrang. »Denk an den armen Bruder Ippolito.«
    »Lieber Himmel, dass ein Darm so lang ist!« Staunend entwirrte Maddalena Schlinge für Schlinge des schlaffen, schlauchartigen Gebildes. Üble Gerüche breiteten sich aus, und wie aus dem Nichts kamen plötzlich dicke, blau schillernde Fliegen angebrummt und umschwirrten den Toten. Hastig stopfte Maddalena die Gedärme zurück in den Leib des Toten und widmete sich der Lunge, ein rötlicher, netzartig geäderter Doppelsack. Als sie sich daran zu schaffen machte, drang plötzlich ein Keuchen aus dem Mund des Toten.
    Mit einem spitzen Schrei ließ Sanchia die Kerze fallen, und sie hätten im Dunkeln gestanden, wenn auf dem Tisch an der Wand nicht noch die beiden anderen Kerzen gebrannt hätten.
    Atemlos vor Schreck lauschten sie in die einsetzende Stille, bis sie sicher sein konnten, dass niemand herkam, um nach dem Rechten zu sehen.
    »Das war dämlich von dir, aber mir wäre dasselbe passiert«, stieß Maddalena hervor. »Ich dachte wirklich für einen Moment, der arme Kerl lebt noch! Dabei war es natürlich nur die mechanische Verbindung zwischen Lunge und Mund. Es war, als hätte ich auf einen Blasebalg gedrückt.« Sie kicherte nervös. Schweiß war ihr auf die Stirn getreten, und sie wischte achtlos darüber, ohne zu bemerken, dass ihre Hand vor Leichensäften nur so triefte.
    Sanchia starrte in das von Schlieren überzogene Gesicht Maddalenas. Der Anblick gab ihr den Rest. Im nächsten Moment konnte sie nicht mehr an sich halten und musste sich in hohem Bogen übergeben. Schwallartig schossen die Reste ihres Mittagsmahls aus ihr heraus, und als sie es endlich hinter sich gebracht hatte, sah es ganz danach aus, als würde Bruder Ippolito heute noch schwere Arbeit leisten müssen.
    Maddalena war kopfschüttelnd zur Seite getreten. »Meine Güte, was ist los mit dir? Du bist doch sonst nicht so empfindlich!«
    Sanchia wischte sich Mund und Kinn mit einem Zipfel ihres Umhangs ab. Sie wich bis an die rückwärtige Wand zurück, dorthin, wo der Kräuterrauch am stärksten war. Ihr Bedürfnis, die Läden aufzustoßen, war plötzlich übermächtig. Allein bei dem Gedanken, jetzt noch mindestens eine weitere Viertelstunde hier

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