Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Küchenmagd war nicht da, denn sie besuchte sonntags immer ihre Schwester in Dorsoduro. Die Hausmagd turtelte irgendwo am anderen Ende Muranos mit einem frisch verwitweten Holzhändler herum, und so fehlte Pasquale jegliche weibliche Unterstützung bei der schwierigen Beurteilung, ob Vittore Fieber hatte oder einfach nur vom Ofen angewärmt war.
Er räusperte sich. »Ich glaube, ich lasse nach Sanchia schicken.«
Vittore öffnete ein Auge. »Warum?«
»Mir scheint, du hast Fieber.«
»Ich habe nicht mehr Fieber als sonst. Ich sterbe nur einfach, Mann. Besser, sie bleibt daheim. Am Ende will sie noch ihre widerlichen Maden auf meine Beine setzen.« Er gab ein kurzes, rasselndes Husten von sich. »Weißt du, wie oft ich noch an früher denke? Als sie immer bei mir in der Werkstatt herumsprang und mich mit ihren naseweisen Fragen wahnsinnig machte?«
»Ich weiß«, sagte Pasquale.
»War eine gute Zeit, früher. Mit unserem alten Meister.«
»Das war es.«
»Mit dir war es auch nicht schlecht. Bist immer anständig gewesen, und Spiegel machst du wie kein Zweiter.«
»Willst du … ähm, soll ich dir eine Zwiebel holen? Oder vielleicht einen Becher Schnaps?«
Vittore grinste flüchtig, dann hustete er abermals, diesmal so heftig, dass es seinen ganzen Körper schüttelte. »Schnaps wäre nicht übel. Bring mir gleich die ganze Flasche.«
Pasquale ging zum Wandbord, um das Gewünschte zu holen. Er half Vittore, sich aufzusetzen und ein paar ordentliche Schlucke zu nehmen. Dann schaute er zu, wie der Alte allmählich wieder in einen unruhigen Schlummer fiel.
Er ging in seine Werkstatt und mischte einige gekörnte Metalle für die Herstellung farbigen Glases. Er hatte einen Auftrag für einen Spiegel, der von roten und blauen Einsätzen umgeben sein sollte, passend zu dem Fenster des Salons, für den er gedacht war. Leute, die zu viel Geld hatten, kamen auf die absonderlichsten Ideen.
Für das Rot konnte er Kupfer erhitzen, es mit Schwefel mischen und daraus eine schwärzliche Mixtur gewinnen, die bei erneuter Erhitzung ein feuriges Ferretto ergab. Für die blauen Glasstücke brauchte er damaszenisches Smalte , von dem seine Vorräte bereits zur Neige gingen. Der Händler, von dem er seit Sebastianos Tod seine Metalle und Salze bezog, war zwar von seinem Wesen her weit berechenbarer als der verrückte alte Sprengmeister, aber dafür auch leider ebenso langsam wie unfähig.
Als kurz darauf von der Anlegestelle Geräusche zu hören waren, ließ er alles stehen und liegen, wischte sich die Hände ab und humpelte eilig durch die große Werkhalle nach draußen.
Sein Herz tat einen Sprung und setzte dann aus, um einen Augenblick später mit der Wucht eines Donnerschlags weiterzupochen. Er schluckte hart und hielt sich am nächstbesten Pfosten fest, weil er sonst vom Steg gefallen wäre.
Die Frau, die dort aus dem Sàndolo stieg, war nicht Sanchia, sondern Eleonora. Und sie hatte seinen Sohn mitgebracht.
Sie wandte sich dem Bootsführer zu, der sie hergebracht hatte. Der Mann nickte und vertäute das Boot. Offenbar hatte sie ihm die Anweisung erteilt, hier auf sie zu warten.
Pasquale ließ den Pfosten los und machte zögernd ein paar Schritte in ihre Richtung. Er fürchtete sich entsetzlich vor dem Moment, in dem sie sich zu ihm umdrehen würde, doch als sie es dann tat, war es nur halb so schlimm, wie er gedacht hatte.
Sie lächelte ihn mit zitternden Lippen an. »Pasquale …«
Er nickte, während seine Blicke gebannt an ihr hingen. Ihm schien, als sei sie in all den Jahren keinen Tag älter geworden. Vielleicht war sie ein bisschen rundlicher als früher, aber es stand ihr gut. Ihre Augen hatten immer noch diesen klaren Bernsteinton, und ihr herzförmiges Gesicht wirkte blühend und gesund. Ihr glänzend braunes Haar war zur Hälfte von einem kostbar bestickten Schleier bedeckt. Auch ihre übrige Bekleidung war hochwertig und stammte ganz offensichtlich von einem teuren Schneider.
Sanchia hatte ihm erzählt, dass der alte Toderini gestorben war und dass Eleonora einen Teil seines Vermögens geerbt hatte, doch sie hatte nichts davon gesagt, dass Eleonora nach Venedig zurückgekehrt war. Er nahm es ihr nicht übel, denn vermutlich hatte sie stillschweigend unterstellt, dass Eleonora nicht vorhatte, ihn wiederzusehen, genau wie damals.
»Seit wann bist du wieder da?«, fragte er, während seine Blicke zu dem Kind gingen, das sich verschüchtert an ihre Seite drückte.
»Seit drei Wochen. Ich wäre schon
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