Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Eleonora wieder in Venedig ist, oder?«
Annunziata nickte. »Letzte Woche war sie hier. Über ihren Fausto war sie voll des Lobes, sie spricht von ihm fast mit derselben Begeisterung wie über ihre neue Küche.« Sie lächelte schwach. »Nun, außer bei der überstürzten Hochzeit damals habe ich ihn nicht kennen gelernt, doch da ihre Augen noch leuchten, muss es wohl eine beständige Liebe sein. In ihrem Fall war der Dispens ein Segen. Bei Lucietta muss es sich erst noch erweisen. Das Kind hat seinen eigenen Dickkopf und wird dem armen angehenden Medicus das Leben sicher noch ziemlich schwer machen. Wer weiß, ob sie hier im Kloster nicht viel besser aufgehoben wäre als in Padua in der Ehe mit einem Studenten.« Sie hob die Schultern. »Aber das ist eine andere Geschichte, die können wir vielleicht in ein paar Jahren erzählen.«
»Hebt Eure Arme und verschränkt die Hände hinter dem Kopf«, bat Sanchia. Sie hatte insgeheim gehofft, dass die Geschwulst sich nicht verändert hatte. Es gab Fälle, in denen wuchs zwar ein Knoten in der Brust, ohne sich jedoch weiter auszubreiten. Diese Art von Wucherungen schienen nicht weiter schlimm zu sein, Sanchia hatte schon einige Frauen gesehen, die damit bereits viele Jahre lebten.
Doch dieses Glück hatte Annunziata nicht. Die Geschwulst war nicht nur größer geworden, sondern es gab inzwischen mehrere davon, die in dicken Knoten in beiden Brüsten und in den Achselhöhlen saßen.
Damit war das Ende abzusehen. Es war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde.
Sie hatte immer wieder Patientinnen, die von diesem tückischen Leiden befallen wurden. Es kam plötzlich; die Knoten tauchten wie aus dem Nichts auf und wurden rasch größer, meist im äußeren oberen Bereich der Brust, und dann dauerte es nicht lange, bis unter den Armen und im Nacken ebenfalls tastbare Beulen entstanden.
Manchmal dachte Sanchia darüber nach, wie es wohl ausgehen würde, wenn man den ersten Knoten aus der Brust herausschneiden würde, gleich ganz zu Anfang, bevor er weiterwachsen konnte. Sie hatte davon gehört, dass der eine oder andere Medicus auf diesem Wege versucht hatte, Frauen zu heilen, doch ihr war kein einziger Fall bekannt, in dem es geglückt wäre. Es war einfach zu wenig über die Krankheit bekannt, so wie über alle anderen Krankheiten auch. Ob es nun die Pest war oder die rote Ruhr oder die Blattern – oder wie in Annunziatas Fall die Geschwulstkrankheit –, man starb an dem einen ebenso gut wie an dem anderen, und niemand konnte vorher wissen, ob er zu den Wenigen gehörte, die Gott ausersehen hatte, es zu überleben.
Sie selbst hatte die Pest überstanden, sie hatte sich bei ihr nur als kurzes, schweres Fieber gezeigt. Eine einzige Beule unter dem rechten Arm, die rasch geplatzt war und sie nach einer Woche schwach, aber für alle Zeiten immun zurückgelassen hatte. Sie hatte die Pocken gehabt, eine mildere Form, so wie manche Stallmägde sie bekamen, und sie hatte eine Blutvergiftung überlebt, eine üble Entzündung, hervorgerufen durch einen fast fingerlangen Splitter, den sie sich mit acht Jahren an einem Holzscheit unter die Haut gerammt hatte. Die Narbe an ihrer Handwurzel war verblasst; nur noch ein schmaler, silbriger Schatten auf der Haut erinnerte sie daran, so lang wie die Schwanzfeder einer Taube und nicht dicker als eine Nähnadel. Doch sie hatte nicht vergessen, wie bedrohlich und geschwollen der glühend rote Entzündungsstreifen sich bis knapp vor die Beuge ihres Ellbogens gezogen hatte, jeden Tag ein Stückchen mehr, bis Albiera mit einem tiefen Schnitt fast bis auf den Knochen und Bädern in glühend heißem, mit Johanniskraut aufgekochtem Wasser der Gefahr Einhalt geboten hatte.
Sie hätte leicht sterben können durch diese Erkrankungen, oder auch durch die Hand eines Mörders, damals, in der Nacht, als ihre Eltern getötet worden waren, oder später, bei der Plünderung des Klosters. Während ihrer wilden Flucht aus Venedig war sie abermals nur um Haaresbreite dem Tod entronnen, ebenso in Rom, als die Engelsburg in die Luft geflogen war. Und letzte Woche, als Aurelia an ihrer Stelle den Kuchen gegessen hatte, den ihr Francesco Caloprini mit den besten Wünschen seiner Schwägerin und seines Bruders mitgebracht hatte. Der Mann, der ihr Vater war …
»Woran denkst du?«, fragte Annunziata, und Sanchias Gedanken, eben noch wie aufgescheuchte Vögel in alle Richtungen davonflatternd, kamen schlagartig wieder zu ihrem Ausgangspunkt
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