Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
und ebenso verlangte sie, dass er die Getränke vorkostete, sogar den Schnaps. In seinen Augen funkelte es, ob vor Belustigung oder heimlichem Ärger, war schlecht zu sagen. Immerhin tat er es, ohne Fragen zu stellen.
Hin und wieder erschien auch eine Zofe, die den Nachttopf leerte, die Laken wechselte und frische Kerzen brachte.
Sanchia bekam alles nur wie durch dicken Nebel mit; die meiste Zeit war sie alkoholisiert. Sie zwang sich, jedes Mal Schnaps zu trinken, wenn sie merkte, dass sie wieder nüchtern wurde und die Schmerzen zunahmen. Einmal fand sie nach dem Wasserlassen Blutspuren an dem Tuch, mit dem sie sich abgewischt hatte, und sie ging zurück ins Bett und brach in trostloses Weinen aus, das Gesicht tief in die Kissen gepresst, damit Lorenzo es nicht hören konnte. Sie rechnete jeden Augenblick mit der Fehlgeburt und umklammerte betend abwechselnd ihren Anhänger und ihren Rosenkranz, doch dann vergingen weitere Stunden, ohne dass es schlimmer wurde. Die Blutung hatte irgendwann nach einem vollständigen Marienpsalter wieder aufgehört.
Den ganzen Tag über lag sie in benommenem Zustand auf dem Bett und lauschte nach nebenan, bemüht, die ziehenden Unterleibsschmerzen ebenso zu ignorieren wie das laute Stöhnen und das Gemurmel ihres Mannes. Er redete im Fieberwahn vor sich hin, und manchmal hörte Sanchia, wie er eine rüde Schimpfkanonade vom Stapel ließ und sämtliche Feinde zur Hölle wünschte, die ihm je übel mitgespielt hatten.
Die Behandlung war zunächst so verlaufen, wie Sanchia es sich vorgestellt hatte. Sarpi und Simon hatten ihn mit Schlafmohnsaft und Wein betäubt, die Wunde mit Johannisöl gereinigt, den Knochen eingerichtet und geschient und anschließend reichlich Maden aufgebracht. Als Lorenzo aus dem Opiumrausch erwacht war, stieg das Fieber sofort sprunghaft an und blieb danach so hoch, dass sie jederzeit mit seinem Tod rechnen mussten. Er litt unmenschliche Schmerzen, sodass sie dazu übergingen, ihm immer genug Mohnsaft einzuflößen, um ihn im Dämmerschlaf zu halten. Sarpi war an ihr Bett gekommen und hatte ihr ernst mitgeteilt, dass er der Behandlung keine großen Chancen einräumte. Er war der Meinung, man hätte besser das Bein abnehmen sollen, solange es noch gegangen wäre. Jetzt sei das Fieber zu hoch, eine Amputation würde ihn auf der Stelle umbringen.
Manchmal schleppte sich Sanchia unter Missachtung ihres Zustandes an das Bett ihres Mannes und flößte ihm becherweise von dem Weidenrindentee ein, den die Köchin in großen Mengen gekocht hatte. Dann konnte es geschehen, dass er zwischendurch aufwachte und sie in einem klaren Moment mit Vorwürfen überhäufte, weil sie nicht in ihrem eigenen Bett lag. Oder er schlang mit wild rollenden Augen beide Arme um sie, zerrte sie dicht an seinen Körper und versuchte unbeholfen, mit ihr zu kopulieren, und wenn sie ihn daran hindern wollte, brüllte er wie ein wütendes Tier, gefangen im Fieberrausch und unfähig zu begreifen, wie es um ihn stand.
Er riss sich den nur locker befestigten Verband ab und rieb mit den Fingern in der Wunde, und dann schrie er abermals, diesmal fast besinnungslos vor Schmerzen. Simon musste mitten in der Nacht kommen und die Wunde erneut reinigen und behandeln. Rufio band Lorenzos Hände mit Leinenstreifen an den Bettpfosten fest, damit er sich nicht mehr kratzen konnte.
Es kam doch noch ein Priester – ein Dominikaner, wie Sanchia trotz ihres Dauerrauschs eben noch so mitbekam –, der Lorenzo die Sterbesakramente erteilte. Sanchia haderte mit sich, weil sie ihn nicht weggeschickt hatte, denn sie war halbwegs sicher, dass sein Erscheinen nur ein schlechtes Omen sein konnte.
Eleonora und Maddalena ließen über Sarpi anfragen, ob sie kommen und helfen sollten, doch Sanchia verbat sich jeden Besuch. Sie war davon überzeugt, dass zusätzliche Störungen alles nur verschlimmern würden. Einmal erzwang sich Maddalena dennoch Zutritt zu ihrer Kammer und brachte ihr eine Kräutermischung für einen Aufguss, den sie im Wechsel zu dem Alkohol zu sich nehmen sollte, um die beständig wiederkehrenden Wehen zusätzlich einzudämmen – und mit der Begründung, dass von zu viel Grappa das Kind zweifelsohne blödsinnig werden würde. Sie zählte auf, welche Ingredienzien sie für den Sud vorbereitet hatte: Himbeerblätter, Schneeballrinde, Heckenrosen, Kreuzkraut und Lobelien. Anschließend bestand sie darauf, dass Sanchia davon trank, und sie weigerte sich zu gehen, bevor nicht mindestens ein großer
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