Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
sie die Hand unter sein Hemd und befühlte seinen Bauch. Er hatte ganz zweifelsfrei Fieber, wenn es auch vielleicht nicht ganz so hoch war, wie sie befürchtet hatte.
»Wer war das?«, fragte sie mit Blick auf die Wunde.
»Janitschare«, sagte Tsing stoisch.
»Nein, ich meine, wer hat sich um ihn gekümmert, nachdem er verletzt worden war?«
Tsing zuckte die Achseln. »Irgendwer. Türke. Wahrscheinlich jemand mit viel Hass auf Feind. Wir waren eingesperrt, Tsing und Ercole.« Er hob einen Finger. »Nur kurz, ein Tag. Später wir auf Boot, Herr und wir beide.«
»Und die anderen? Die Besatzung? Die übrigen Schiffe?«
Tsing zog mit dem Finger eine harte Linie über seine Kehle, und Sanchia erschauerte.
»Sultan uns freigelassen wegen Brief.« Er demonstrierte mit einer Handbewegung und einem zischenden Geräusch, wie ein Messer durch die Luft geflogen und irgendwo stecken geblieben war. Sanchia konnte sich darauf keinen Reim machen, und Tsing gab es auf, ihr mehr erklären zu wollen; er fand es anscheinend nicht so wichtig.
»Herr ihm gesagt, wir seine Diener«, fuhr er fort. »Dann wir drei frei. Wir bekommen kleines Boot, ohne Wasser, Segel zerrissen. Zwei Tage gerudert, dann Land und richtiges Schiff bringt uns her.« Er hob seine Hände, deren Innenseiten von aufgeplatzten Blasen übersät waren. »Tsing kein guter Seemann. Götter laut gelacht.«
»Was ist mit Ercole?«
»War fast tot. Messer in Rücken. Ist in Spital.«
»Geht es ihm besser?«
Tsing hob die Schultern. Er wusste es nicht. Fragend deutete er auf Lorenzo. »Muss er sterben?«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann.« Sie lächelte mühsam.
Es klopfte an der Tür, und Rufio schob seinen dunklen, runden Kopf herein. »Messèr Sarpi ist da.«
Sarpi schob sich an ihm vorbei und betrat die Kammer, einen besorgten Ausdruck im Gesicht.
Rufio blieb stehen und blickte sie fragend an. »Was kann ich für Euch tun, Madonna? Ich möchte helfen!«
»Holt bei mir zu Hause einen Krug mit Johannisöl. Die Köchin wird ihn Euch geben. Und dann durchstreift die nächstgelegenen Abdeckereien und beschafft mir so viel madendurchsetztes Fleisch, wie Ihr findet. Nehmt alle Maden heraus und reinigt sie unter fließendem Wasser. Aber vorsichtig, ich brauche sie lebend.«
Er runzelte die Stirn, und als ihm klar wurde, dass sie nicht scherzte, nickte er leicht und zog sich zurück.
Sarpi hatte sich über das Bein gebeugt. »Das ist so ziemlich die übelste Wunde, die ich je sah.« Nach kurzem Überlegen fügte er hinzu: »Ich meine, ohne dass der Betroffene tot war. Soll ich amputieren?« Er musterte das Bein und taxierte den Bereich zwischen Hüfte und Wundrand, als würde er bereits für den Einsatz seiner Knochensäge Maß nehmen. »Es müsste weit oben abgenommen werden. Aber er könnte es schaffen, er ist groß und jung und kräftig.«
Sie schüttelte den Kopf. »Die Wunde ist eitrig, aber es ist kein Brand. Jemand hat irgendeine verweste Masse hineingeschmiert, das ist es hauptsächlich, was so erbärmlich stinkt und warum es so faulig aussieht.« Sie zögerte. »Es ist brandig, aber nicht so sehr, wie es auf den ersten Blick scheint.«
»Was schlagt Ihr also vor?«
»Ich werde die Wunde mit warmem Johannisöl spülen und reinigen, immer wieder, bis das ganze klebrige Zeug weg ist. Danach richte ich den Knochen, dafür brauche ich Eure Hilfe.« Sie hob die Schultern. »Eigentlich hoffte ich, dass Ihr ihn richtet, darin habt Ihr mehr Erfahrung.«
»Gern. Aber …« Er wies skeptisch auf die wulstige, von Eiter durchsetzte Wunde. »Damit nützt ihm auch ein hübsch eingerichteter Knochen nicht viel.«
»Ich weiß. Deshalb werde ich auch so viel wie möglich von dem abgestorbenen Fleisch entfernen.«
»Dann müsst Ihr ihm den halben Schenkel wegschneiden.«
Sanchia schüttelte den Kopf. »Das machen die Maden.«
»Das habt Ihr ernst gemeint?« Sarpi verzog angeekelt das Gesicht. »Ich dachte vorhin, Ihr hättet Euch einen Scherz mit dem armen Mohren gemacht.«
»Im Augenblick ist mir nicht nach Scherzen zumute.«
Er nickte zweifelnd. »Aber … Würmer?«
»Ich habe es schon ausprobiert.«
»Eine Amputation wäre sauberer.«
»Eine Amputation würde ihn das Bein kosten.«
»Lieber sterbe ich«, flüsterte Lorenzo heiser. »Lass meinetwegen die Würmer das Bein fressen. Irgendwann kriegen sie es sowieso.«
Sanchia starrte ihn an, eine endlose Sekunde, in der ihre Blicke sich verhakten und sie einander wortlos und über Raum und Zeit
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