Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
letzten Tage erhört worden waren.
Nur ein brennender Wunsch war noch offen, und mit einem Mal wurde er übermächtig. Sie hörte auf zu weinen und richtete sich auf, um es ihm zu sagen. Schniefend wischte sie sich die Augen und suchte nach den richtigen Worten.
In seinen Mundwinkeln zuckte ein Lächeln. »Schon wieder gut? Schade, ich dachte, ich kann dich noch eine Weile trösten. Du bist dann immer so anschmiegsam.« Er legte den Kopf zur Seite, als er ihren entschlossenen Gesichtsausdruck bemerkte.
»Was ist? Du siehst aus, als hättest du gerade eine weltbewegende Entscheidung getroffen!«
Sie nickte. »Habe ich auch. Ich möchte nach Hause.«
Er lachte. »Muss es sofort sein oder kann ich zuerst was essen?«
»Bis dahin kannst du alles Mögliche essen. Du bleibst mindestens noch eine Woche hier, vorher kannst du auf keinen Fall transportiert werden.«
»Und du? Was ist mit dir?«
Sie holte tief Luft. »Ich gehe morgen.«
Es fiel ihm sichtlich schwer, das zu begreifen. »Du willst … weg von mir?«
»Nein«, sagte sie verzweifelt. »Ich will nur …«
»Was?«
»Nicht mehr hier in diesem Haus sein.«
»Was ist so falsch an diesem Haus, wenn ich darin bin?«
»Es ist … Es ist deine Mutter.«
Er blickte sie prüfend an. »Was war los?«
Sie sah keine Möglichkeit, es ihm zu verheimlichen, und so sah sie sich genötigt, ihm von Aurelias Tod zu erzählen. Er hörte sie mit versteinerter Miene an und bestand darauf, augenblicklich seine Mutter herzubeordern, um, wie er es formulierte, den Irrtum aufzuklären. Er befahl Rufio, der kurz darauf mit einem Essenstablett zurückkam, in barschem Tonfall, Caterina zu holen. Erschöpft von dieser Kraftanstrengung und offenbar mitgenommen von Sanchias Vorwürfen gegen seine Mutter, ließ Lorenzo seinen Kopf auf das Kissen sinken und schloss die Augen. Wenige Minuten später erschien Giovanni, bleich und verschlafen, das Gesicht von der Kerze erhellt, die er vor sich hertrug.
»Sie kann nicht aufstehen, es ist völlig ausgeschlossen. Ihr Fieber ist schlimmer geworden, und ihr Kopf schmerzt so stark, dass sie es kaum noch erträgt. Ich fühle mich offen gesagt auch nicht besonders, mir ist das alles auf den Magen geschlagen.« Er lächelte ein wenig kläglich. »Kommst du nicht ohne uns zurecht? Ich sehe, dass es dir wieder besser geht. Rufio erwähnte es gestern schon. Deine Mutter und ich sind sehr glücklich darüber. Wir haben beide in den letzten Tagen ununterbrochen gebetet, auch für deine junge Frau und euer Kind.« Er strich sich das zerknitterte Nachtgewand glatt, und sein Blick streifte Sanchia, die in ihrem dünnen Hemd auf Lorenzos Bettkante saß und unbehaglich die Arme vor der Brust verschränkte, weil sie sich plötzlich ihrer unzureichenden Bekleidung bewusst wurde.
»Das, worum es uns geht, kannst du sicher ebenso gut erklären«, sagte Lorenzo ruhig. »Neulich habt ihr, du und Mutter, Onkel Francesco ein Geschenk für Sanchia mitgegeben, wie du sicher noch weißt.«
Giovanni zuckte die Achseln. »Woher soll ich …« Er unterbrach sich. »Doch, halt, ich erinnere mich. Ich hörte, wie Caterina ihn bat, in unserem Namen eine Kleinigkeit zu besorgen, etwas Kuchen und Wein für die werdende Mutter. Das hat er dann wohl auch getan. Was dachtest du denn, wie es vonstatten gegangen sein soll?« Er wirkte befremdet und zugleich verärgert. »Ist das ein Grund, uns mitten in der Nacht aus dem Bett zu werfen?«
»Der Kuchen war vergiftet«, sagte Lorenzo schroff. »Hätte Sanchia davon gegessen, wäre sie jetzt tot. Und das Kind ebenfalls. So starb ihre junge Zofe. Wir waren allerdings der Meinung, dass hier durchaus die Frage angebracht war, wer dafür verantwortlich ist.«
»Deine Mutter auf keinen Fall!«, rief Giovanni aus. Seine Miene spiegelte Entsetzen wider. »Mein Gott! Wie kannst du das auch nur einen Augenblick denken! Sie würde doch niemals … Sie liebt dich über alles, und sie freut sich auf ihren Enkel!« Seine Fassungslosigkeit verwandelte sich in Wut, und Sanchia sah, wie er die Hände zu Fäusten ballte. »Vielleicht fragst du einfach bei nächster Gelegenheit deinen Onkel.«
Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand.
Sanchia fröstelte. Sie starrte durch die offene Tür hinaus in den dunklen Portego und lauschte, bis die Schritte ihres Schwiegervaters verhallt waren.
»Er hat Recht«, sagte Lorenzo. »Wir sollten Onkel Francesco fragen. Eigentlich müsste er in Venedig sein, aber ich habe ihn
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