Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Krug leer wäre.
Nur um sie loszuwerden, fügte Sanchia sich – und hatte danach zu ihrer Überraschung den Eindruck, dass es allmählich besser wurde.
In der darauf folgenden Nacht wachte sie plötzlich auf. Zuerst dachte sie, ein Geräusch hätte sie geweckt, doch als sie sich aufsetzte und lauschte, konnte sie nichts Ungewöhnliches hören.
Die Kerzen, die bei ihrem Einschlafen noch geflackert hatten, waren vollständig niedergebrannt. Das Fenster stand offen, ein schwacher Luftzug strömte durchs Zimmer und streifte ihre Wange und ihre bloße Schulter. Sie war nackt bis auf ein dünnes, ärmelloses Hemd, weil die Augusthitze tagsüber so unerträglich war, dass es anders nicht auszuhalten gewesen wäre.
Irgendwo in der Nähe läutete eine Glocke zur Matutin, verhalten und kurz. In die einsetzende Stille mischten sich wieder die Geräusche der Nacht, das gluckernde Wasser an der Fondamenta, der stetige Wellenschlag des vorbeifließenden Kanals.
Der Fensterausschnitt über den gegenüberliegenden Dächern umrahmte einen prächtigen Vollmond, der wie eine riesige, erleuchtete Orange am Himmel hing.
Etwas hatte sich verändert, doch sie spürte es erst, als sie aus dem Bett geschlüpft und zum offenen Fenster gegangen war. Den Kopf schräg gelegt, horchte sie zuerst in die Nacht hinaus – und dann in sich selbst hinein. Verblüfft merkte sie, dass sie nüchtern war – und dass das Ziehen in ihrem Unterleib aufgehört hatte. Ob es nun an Maddalenas Tee lag oder den zahllosen Rosenkranzgebeten oder dem vielen Schnaps – zum ersten Mal seit Tagen verspürte sie nicht den leisesten Hauch von Schmerz! Jedenfalls nicht die Art von Schmerz, die ihr die ganzen letzten Tage über Todesangst eingejagt hatte. Das harte Pochen hinter ihren Schläfen, das einen handfesten Kater anzeigte, zählte nicht.
Die hölzernen Bohlen des Fußbodens knarrten unter ihren nackten Füßen, als sie zur Kammertür eilte und sie entriegelte. Wenn sie schlief, zog sie es vor, dass niemand unerwartet ihr Zimmer betreten konnte. Solange Caterina sich mit ihr unter einem Dach befand, würde sie weiterhin die nötige Vorsicht walten lassen.
Der glatte Terrazzo, mit dem der Portego ausgelegt war, fühlte sich unter ihren Fußsohlen wohltuend kühl an. Das Mondlicht fiel geradewegs durch die runde Bernsteinscheibe, und Sanchia blinzelte überrascht, weil sie so lange nicht daran gedacht hatte. Dieses Fenster war Piero Foscaris letztes Meisterwerk gewesen, geschaffen auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Kraft, und jetzt den Mond hindurchscheinen zu sehen war fast wie eine sanfte Berührung ihres Vaters, eine Verheißung aus der Vergangenheit. Unwillkürlich streckte sie die Hand aus, und ihre Finger strebten dem schimmernden Fenster entgegen, als könnte sie ihn auf diese Weise erreichen, wenn sie dabei nur das Mondlicht hinter dem Glas nicht aus den Augen verlor.
Plötzlich spürte sie etwas, eine neue Präsenz, es war, als würde sie von etwas oder jemandem berührt, der aus weiter Ferne näherkam. Sie schloss die Augen, bemüht, der Empfindung nachzugehen, und dann war es wieder da, zaghaft, kurz, aber unverkennbar. Ein winziges Flattern in ihrem Bauch, noch keine richtigen Tritte, aber zarte Stupser, wie das sanfte Getrommel von Feenfingern.
Sie lachte entzückt und legte die flachen Hände auf den Leib. Du bist da!, dachte sie staunend. Sie verharrte einige Augenblicke und genoss es, ihr Kind zu spüren, das wachsende Leben zum ersten Mal auf diese einzigartige Weise wahrnehmen zu können.
Dann wurde sie abrupt aus ihrer Versunkenheit gerissen. Diesmal war das Geräusch, das sie hörte, kein Traum, sondern real, und es kam aus Lorenzos Kammer. Es waren leise Männerstimmen, und eine davon gehörte ihrem Mann.
Sie klopfte kurz und wartete nicht, bis sie eine Aufforderung zum Eintreten erhielt, sondern stieß gleich die Tür auf. Kerzenlicht erhellte eine merkwürdige Szenerie, es sah aus wie das Stillleben eines Malers, dessen bevorzugte Sujets Krankenpflege und Kammerdienst waren.
Tsing stand am Kopfende des Bettes und schor seinem Herrn den Bart, während Rufio ihm vorsichtig den Leib wusch.
»Kannst du nicht schlafen, meine Taube?«, fragte Lorenzo. Seine Stimme war völlig klar.
»Ich bin wach geworden, weil …« Sie starrte ihn an, dann schluckte sie heftig und trat an sein Bett. »Weil irgendetwas anders war. Ich … meine Schmerzen sind weg.«
»Meine nicht«, informierte er sie. Sanft schob er Tsings Hand mit
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