Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
hatte er hinzugefügt: »In einem zehnten Punkt habe ich außerdem auf meine Begabungen als Architekt hingewiesen. Und, nun ja, in einem kurzen Absatz auch auf meine unbeachtlichen künstlerischen Fähigkeiten. Aber was soll ich sagen: Der Herzog versteht es nicht.« Mit der Faust in die flache Hand schlagend, hatte er empört wiederholt: »Er versteht die Entwürfe für meine Maschinen nicht!«
Lorenzo verstand sie ebenso wenig, hatte sie aber mit brennendem Interesse studiert. Er zweifelte nicht daran, dass sie, falls es je ein Mensch fertigbrachte, den Bauanleitungen zu folgen, in der Praxis auch tatsächlich zum Erfolg führen würden. Falls Leonardo nur einen Bruchteil der genialen Könnerschaft, die er bei seinen Aktstudien und Portraits bewies, bei der Konstruktion seiner militärischen Erfindungen umsetzen konnte, war Ludovico Sforza ein Idiot, ihn ziehen zu lassen.
Lorenzo hatte es mit genau diesen Worten dem Florentiner mehrfach versichert, womit er den Künstler nicht nur in bessere Laune versetzt hatte, sondern ihn auch dazu brachte, ihm zu verraten, was es mit seinen Notizen auf sich hatte, die in merkwürdigen Geheimbuchstaben verfasst waren.
»Spiegelschrift«, hatte Leonardo nach einem kurzen Blick in alle Richtungen geflüstert. »Damit niemand mir meine Erfindungen stehlen kann!«
Der Künstler hielt mit dem Zeichnen inne und stand auf. Er ging zum Fenster und blieb stehen, ein schlanker, gut aussehender Mann in den Dreißigern, der daran verzweifelte, dass er sich von seiner Kunst ernähren musste. Er kannte seinen Wert, doch davon wurde er nicht satt. Die Caloprini bezahlten ihm hier in Beyrut ein Zimmer und seine Mahlzeiten, und er vergalt es ihnen mit einigen meisterhaft gezeichneten Portraits. Aber ihr Aufenthalt in diesem Land neigte sich dem Ende zu.
Die Läden waren gegen die Hitze geschlossen, doch das Schnitzwerk ließ einen großzügigen Ausblick auf die Bucht und die sich dahinter erhebenden Berge zu. Die Gipfel verschwammen im aufsteigenden Dunst des Tages. Von ferne war der Lärm des Marktes zu hören, wo Silberschmiede und Teppichhändler ihre Waren feilboten. Auf dem Turm einer nahen Moschee erhob sich die gutturale Stimme des Muezzin, der die Gläubigen zum Gebet aufrief.
»Ich hasse dieses Land«, sagte Leonardo da Vinci inbrünstig. »Jeder Tag ist wie der vorhergehende. Alle Geräusche, alle Abläufe, sogar das Wetter. Es ist heiß, staubig, heiß, staubig. Die Menschen sind dumm und stinken.« Er hielt inne. »In Florenz und Mailand sind sie genauso dumm, und sie riechen auch nicht viel besser. Aber wenigstens sprechen sie dieselbe Sprache wie ich und beten zu demselben Gott. Es war eine selten dumme Idee, hierher zu reisen.« Er deutete auf die Wasserpfeife. »Ich weiß nicht mal, warum ich ständig an diesem widerlich schmeckenden Ding ziehe.«
»Warum kommt Ihr nicht nach Venedig und versucht dort, Eure Geräte zu bauen?«, fragte Lorenzo impulsiv. »Mein Vater kann sich beim Zehnerrat bestimmt für Euch verwenden!«
»Was Ihr nicht sagt, junger Löwe«, murmelte Leonardo, bereits wieder in seine Zeichnung vertieft. »Immerhin. Es wäre von nicht unbeträchtlicher Ironie, meine Kriegsmaschinen für Sforzas Erzfeinde zu bauen. Vielleicht komme ich wirklich eines Tages und sehe mir Euren Palazzo an und andere Meisterwerke von Messèr Lombardo. Vielleicht baue ich dort noch schönere, bessere! Und Kriegsmaschinen, welche die Welt noch nicht gesehen hat!«
Lorenzo erhob sich von dem Diwan. Er hatte keine Lust mehr, Modell zu sitzen. Der Florentiner nahm es ihm nicht übel. Er fertigte alle Zeichnungen stets mit derselben erstaunlichen Realitätstreue an, ob mit oder ohne lebendes Studienobjekt.
Lorenzo nahm ein Stück Käse von dem Tablett und biss hinein. Von dem Fladenbrot und den Feigen aß er ebenfalls, verschmähte aber das Fleisch, weil der ewige Geschmack von Hammeleintopf ihm bald zu den Ohren herauskam. Der Wein war wie immer ausgezeichnet, ein gehaltvoller, kaum verdünnter Malvasier, ein Zugeständnis an die westlichen Reisenden, denen der Genuss alkoholischer Getränke erlaubt war.
Er warf einen Blick auf die Zeichnung und sah belustigt, dass Leonardo sein Gesicht auf einen Löwenkörper gesetzt hatte.
»Was soll das sein?«, fragte er.
»Der Entwurf zu einem Bild, das ich vielleicht irgendwann malen werde.«
Der Löwe lag mit peitschendem Schweif vor einem ausgemergelten, verzweifelt wirkenden Mann, der an einer einsamen, zerklüfteten Küste gestrandet
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