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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Berührt ihr einander? Singt ihr Lieder?«
    »Ich rede nicht gerne, mag keine Berührungen, und singen kann ich nicht.« Es kam im Brustton der Überzeugung, was er auch sofort zu akzeptieren schien.
    »Haltet ihr Tiere auf dem Zimmer?«
    »Ein Hündchen, aber es ist sehr klein und ganz sauber.«
    »Hast du Essen und Wein in deiner Truhe?«
    Sie schüttelte entschieden den Kopf. Sie besaß keine Truhe, nur eine kleine Schatulle, in der sich genau zwei Gegenstände befanden. Danach, wie es in Eleonoras Truhe aussah, hatte er nicht gefragt.
    Er war noch nicht fertig mit seinem Verhör. »Ich habe gesehen, dass du ins Scriptorium gehst. Was tust du da?«
    »Ich lese und schreibe dort.«
    »Woher kannst du lesen?«
    »Die Nonnen zeigten mir, wie es geht.«
    »Was liest du?«
    »Die Bibel«, sagte sie wahrheitsgemäß. »Ich schreibe auch aus der Bibel ab.«
    Nach anderen Büchern hatte er nicht gefragt.
    Er runzelte die Stirn und dachte kurz nach, dann nickte er. »Eine gute Lektüre. Mädchen sollten im Grunde besser nicht lesen lernen, aber es ist ein schöner Brauch, wenn Nonnen ihren Mitschwestern aus frommen Schriften vortragen. Sicher gefällt dir das, nicht wahr?«
    Sie starrte ihn ungläubig an, dann zwang sie sich zu einem Nicken. Es war die erste bewusste Lüge ihres Lebens, und einen Moment lang fragte sie sich besorgt, ob sie sich nun auf dem unaufhaltsamen Weg in die Verdammnis befand.
    Er musterte sie abwägend. »Du scheinst ein vernünftiges Kind zu sein, besser als die meisten hier. Vergiss aber niemals, dass nur die Demütigen der Seligkeit des Himmelreichs teilhaftig werden können. Du darfst gehen.«
    So schnell wie diesmal war sie noch nie die Stufen zum Dach hinaufgestiegen.
    Sie suchte bei den weißen Tauben nach Anzeichen von Erschöpfung, fand aber keine. Sie sahen wie immer aus, wenn sie von einem ihrer Flüge zurückgekehrt waren. Glatt gefiedert, strahlend weiß, die dunklen Knopfaugen beweglich und leuchtend. Wenn sie nebeneinander auf ihrer Stange saßen, inmitten der anderen Tauben, wirkten sie wie geheimnisvolle Gestalten aus einer Sage.
    Sanchia wusste, dass vieles von dem, was sie den Tauben zuschrieb, ihrer Fantasie entsprang. Dennoch stellte sie sich gern vor, dass die Tauben nach dem Auflassen in eine magische Welt entflohen, die zu durchqueren sie nur wenige Stunden brauchten, während überall auf dem restlichen Erdkreis die Zeit träge verstrich und die Menschen glauben machte, es hätte seine Richtigkeit, für eine Reise von der venezianischen Lagune bis zu den fernen Ufern der Levante mehrere Wochen zu benötigen.
    Mittlerweile wusste sie alles, was es darüber zu erfahren gab. Sie schämte sich dafür, doch alle Selbstvorwürfe wegen ihrer schändlichen Schnüffelei hatten sie nicht davon abhalten können, sämtliche Briefe von ihm zu lesen, und das nicht nur einmal.
    O ja, Eleonora konnte jede einzelne Zeile auswendig nachbeten, aber sie selbst konnte es inzwischen auch.
    Er hatte den Heimatschlag seiner Tauben mitgenommen. Es waren seine Tauben, was Eleonora den anderen wohlweislich unterschlug. Sie tat immer so, als wären die Tauben ihr angestammtes Eigentum, das sie ganz nach Gutdünken zu ihrem Verlobten hinausschickte.
    Doch das stimmte nicht. Es war allein der Wille der Tauben. Und deshalb waren sie auch kein wirkliches Geschenk an Eleonora, sondern nur eine Leihgabe. Sonst hätte dieser Briefaustausch nicht funktioniert. Der Schlag, in dem die Tauben geboren und zum ersten Mal aufgeflogen waren – das war der Hort, der sie bis zum Ende ihres Lebens immer wieder anlocken würde, egal wie weit entfernt und wie schwer zu finden er wäre. Es gab Kaufleute, die ihre Tauben bis ans Ende der bekannten Welt mitnahmen und sie dort aufließen. Ob es nun ein Wunder war oder Gottes Wille – sie fanden binnen unvorstellbar kurzer Zeit zurück in ihren heimischen Schlag.
    In seltenen Fällen gelang es, Tauben auf zwei Schläge zu trainieren, sodass man sie hin und her schicken konnte. Ein Schlag, in dem sie Futter bekamen, der andere, in dem sie ausgebrütet worden waren und in dem ihre Zuchtgenossen lebten. Noch seltener, ja beinahe an Zauberei grenzend, war der Transport eines Schlages über das Meer, von dem aus die auf zwei Schläge trainierten Tauben in den anderen Schlag und wieder zurück fanden, gegen alle Widrigkeiten wie Greifvögel, Stürme, Kälte und Wind.
    Lorenzo hatte es Eleonora in einem Brief ausführlich erklärt, doch sie hatte dieses Wunder gar nicht als

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