Die Mächte des Feuers
Anstrengung kann der Teufel damit Stein schmelzen.« Sie zupfte an einem vollkommen verkohlten Stofffetzen, der einmal zu Skeltons Sakko gehört hatte. »Aber Ihre Haut, Sir, ist nicht einmal verbrannt.«
»Ich kann nichts dafür, Großmeisterin«, wiederholte er inständig.
Sàtra hupte, fluchte und lenkte den Wagen durch eine besonders enge Stelle, vorbei an vier ineinander verkeilten Fahrzeugen. »Das hier ist der reine Albtraum«, rief sie und beschleunigte.
Zadornov hielt sich mit einer Hand am Rahmen fest. »Und daher fahren wir so schnell?«
»Ja«, nickte sie. »Je eher wir Edinburgh entkommen sind, desto besser fühle ich mich.«
Silena nickte. »Wissen Sie, was Ihre offensichtliche Unverwundbarkeit gegenüber Drachenfeuer bedeutet, Sir?«
»Nein«, erwiderte Skelton vorsichtig.
»Dass der Knochen, der Ihnen als Kind eingesetzt wurde, von einem sehr, sehr mächtigen Drachen stammt.« Silena zeigte nach oben. »Vielleicht spürt er das, und Sie wirken auf ihn wie ein Magnet, Sir.«
»Alles, nur das nicht«, stöhnte Sàtra und bog ab.
X.
»Die Linie Ferdinand (ausgestorben)
Fälschlicherweise davon ausgehend, dass es sich bei Ferdinand III. von Leon und Kastilien um einen echten Drachentöter g e handelt hatte, versuchten sich einige Nachfahren im 19. Jah r hundert als Drachentöter mit dem Schwert. Allerdings wurde zu spät bemerkt, dass Ferdinand seine Auszeichnung wegen des Kampfes gegen die Mauren und nicht gegen die Drachen erhalten hatte. Alle drei Nachfahren starben bei ihrem ersten Einsatz g e gen ein kleines Exemplar.«
aus der Serie ›Drachentöterinnen und Drachentöt er im Verlauf der Jahrhunderte‹
Im ›Münchner Tagesherold‹, Königlich-Bayerisches Hofblatt vom 25. Juni 1924
20. Januar 1925, Edinburgh, Provinz Schottland, Königreich Großbritannien
Mit kreischenden Bremsen hielt der Zug vor der brennenden Stadt. Der Lokführer hatte den Feuerschein gesehen und die Einfahrt in das sterbende Edinburgh verweigert.
Leida schwang sich auf das Dach des vordersten Wagons und stellte sich neben ihren Bruder Ramachander Shirovay Havock, der den Himmel mit dem Fernglas absuchte. »Wir sind eindeutig zu spät«, stellte sie angesichts des Infernos fest.
»Aber der Fünfender ist noch da«, antwortete er und verfluchte den Dampf und den Rauch, der aus den Schornsteinen der Lok aufstieg und ihm immer wieder die Sicht raubte. Zur Hälfte war er indischer Abstammung, wie seine dunklere Hautfarbe und die schwarzen Haare verrieten, aber die blauen Augen und sein Englisch konnten kaum britischer sein. Wie seine Schwester trug er dicke Lederkleidung, die aus der Haut eines Drachen gefertigt worden war. »Eben habe ich ihn gesehen.« Er senkte das Glas und wandte die Augen nicht von der Stadt, über der eine Qualmwolke einen zweiten Himmel ohne Gestirne bildete. Die Feuer beleuchteten die Schwaden und den gelegentlich auftauchenden Drachen, leise erklangen Sirenen. »Wo ist dieser Agent?«
»Mandrake ist in seiner Kabine und schläft. Ich bekomme ihn durch Klopfen und Rufen nicht wach«, entschuldigte sie sich. »Er muss sich betrunken haben.«
»Dann trete die Tür ein. Ich brauche die Informationen, die er uns versprochen hat.« Ramachander schaute zu ihr, sein Blick war ernst und voller Tatendrang. »Die Männer sollen sich fertig machen. Die Jagd geht los. Ich möchte mir diesen Burschen nicht entgehen lassen, Schwesterherz. Sobald bekannt wird, was hier geschieht, sendet das Officium alle Drachentöter, die es entbehren kann. Vorerst aber haben wir so gut wie keine Konkurrenz.«
»Bis auf Little Georgina«, warf sie spöttisch ein.
Ramachander setzte das Fernglas an die Augen. »Sie befände sich längst in der Luft, wenn sie in der Nähe wäre.«
Leida schickte sich an, vom Dach zu klettern. »Mit etwas Glück ist sie schon abgestürzt. Oder vom Fünfender verspeist worden.« Sie sprang auf die kleine Plattform, öffnete die Tür und eilte hindurch, um Eris Mandrake aus seinen Träumen zu reißen.
Es war nicht das erste Mal, dass sie im Auftrag einer Monarchin oder eines Monarchen gegen einen Drachen vorgingen, aber dass sich ein Agent des SIS unter ihnen befand, der sie bislang immer nur telefonisch mit Wissen versorgt hatte, bedeutete eine Neuheit. Eine aufregende Neuheit. Leida wertete es als Zeichen, dass das allgemeine Vertrauen in das Officium und die Schlagkraft der Heiligennachfahren nachließ. Gute Zeiten für Drachenjäger wie sie und Havock's
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