Die Mächte des Feuers
zurückhalten.« Grigorij klopfte den Schmutz von Mantel und Hose. »Sind Sie in Ordnung, Großmeisterin?«
»Ja«, log sie und hinkte zu dem demolierten Schrein; Grigorij folgte ihr.
Die Pforte wurde erneut geöffnet, Farou und einige Männer betraten den Innenraum, brachten Lampen und Gewehre mit. Die trüben Strahlen leuchteten in der Basilika umher, einige blieben am zerstörten Fenster hängen, andere zeigten die Verwüstung am Heiligtum in aller Deutlichkeit.
»Mon dieu! Das Ding hat unseren Aubert geklaut!«, rief einer der Männer aufgebracht. Sie drängten sich um den Schrein.
»Aubert?« Silena betrachtete das Kissen. »Ist das nicht zu klein für einen Menschen?«
»Nein, nicht den ganzen Aubert. Seinen Schädel«, erklärte Farou und musterte sie. »Großmeisterin, was halten Sie davon, wenn wir uns wirklich ins Nupieds setzen und uns in aller Ruhe unterhalten? Ich habe nämlich den Eindruck, dass Ihr Auftauchen mit den Vorgängen in unserem bis eben beschaulichen Avranches zusammenhängt. Jedenfalls gab es vorher keine lebendige Gargouille in unserer Stadt.« Er deutete mit dem Daumen auf den Ausgang. Die entschlossenen Gesichter der Männer um sie herum machten klar, dass sie eine Ablehnung nicht hinnähmen.
Grigorij legte eine Hand an die Manteltasche und sah zu Silena – die stumme Frage, ob er seine Pistole ziehen sollte. Zusammen mit der Luger in ihrem Achselholster besaßen sie genügend Munition, um sich den Weg aus Saint Gervais zu schießen.
Silena legte die Rechte auf seinen Unterarm, drückte zu. Sie war froh, ihn bei sich zu haben. Widerstand machte im Augenblick keinen Sinn. »Gut, Monsieur. Gehen Sie vor, wir folgen Ihnen.«
Die sehr weltliche Prozession verließ das Gotteshaus und kehrte in den Gasthof ein.
24. Januar 1925, Marazion (Cornwall), Königreich England
»Ein Strand, wie schön.« Arsenie setzte zur Landung an und scherte sich ebenso wenig um die Fischer, die ihre Boote an Land holten und Netze ausluden, wie um die Spaziergänger, die nach dem Sturm an der Küste entlangschlenderten, um Muscheln und Treibholz zu suchen.
Sie ließ die Curtiss R3C-1 sinken, und spätestens jetzt gab es für die Männer und Frauen keinen Zweifel mehr, dass die Maschine allen Ernstes aufsetzen wollte.
Es hatte Arsenie nicht viel gekostet, sich ein Flugzeug zu beschaffen. Ein Augenaufschlag und natürlich Geld, von dem sie wahrlich ausreichend besaß, hatten genügt, um in Wiener Neustadt eine ausrangierte Rennmaschine aufzutreiben. Wie gut, dass just in diesen Tagen dort zahlreiche Flugrennen ausgetragen wurden.
Sie war das Risiko nicht eingegangen, dem infantilen Fürsten und der sauertöpfischen Großmeisterin in Innsbruck über den Weg zu laufen und erklären zu müssen, was mit Skelton geschehen war. Ihre verbrühten Hautstellen hatte sie mit einer speziellen Salbe behandeln lassen, und die noch nicht ganz verheilten Stellen verbarg sie geschickt mit Schminke.
Die doppelflüglige Curtiss schoss mit dreihundert Stundenkilometern knapp über die Köpfe von Wanderern hinweg, die in sehr eleganten Kleidern unterwegs waren. Kreischend zogen die Damen die Köpfe ein, und die Männer schüttelten drohend Gehstöcke und Schirme hinter ihr her.
»Aus dem Weg, ihr britischen Dünnbiertrinker!« Arsenies Taktik war klar. Sie hatte niemals vorgehabt, den Weltenstein mit jemandem zu teilen, und für sich inzwischen eine Interpretation von Zadornovs Vision gefunden: Sie war deshalb nicht zu sehen, weil sie sich vor dem Kampf, den er sah, längst abgesetzt hatte. Der Weltenstein in der Hand des Russen war eine Imitation gewesen. Ihre Imitation, die sie ihm unterjubeln würde. Sie hatte die Nachbildung umgehend in Auftrag gegeben und die Nachricht erhalten, dass diese für sie bereitstand. In Paris.
Arsenie warf einen Blick nach links, wo sich eine Insel mit einer Festung darauf erhob; eine schmale Brücke führte hinüber, die eben von der Flut verschlungen wurde. Das war ihr Ziel: der Saint Michael's Mount. Allerdings gab es nicht viel zu sehen. Gerüste standen sowohl um die Mauer als auch um die Gebäude, und ausgebreitete Planen verhinderten, dass man etwas sehen konnte.
Sie verringerte die Geschwindigkeit; dann setzte die Curtiss im Sand auf, der nach dem Regen hart und fest war. Sie lenkte das Rennflugzeug über den Abschnitt des Strandes, auf dem die Wellen rollten und sich die Räder drehen konnten, ohne zu blockieren; das Meerwasser sprühte hoch und machte die Luft noch
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