Die Mächte des Feuers
für einen Penny, du Geschäftemacher. Jetzt raus mit dir.«
Sean verschwand mit leuchtenden Ohren auf den Gang. Er hatte ihr rotes Mieder gesehen! Das würde er den anderen erzählen, und sie wären neidisch. Schnell riskierte er einen Blick durch das Schlüsselloch – aber etwas hing davor. Mylady kannte die Tricks.
XVIII.
»Die Linie Gereon (ausgestorben)
Ausgehend vom Soldaten Gereon, dem vor Köln wegen seines christlichen Glaubens der Kopf abgeschlagen wurde, hatten sich die Nachfahren dem Nahkampf verschrieben und sich gezielt die großen, mehrköpfigen Drachen auserkoren. Anfängliche und wohl mehr zufällige Erfolge führten zu einer Selbstüberschätzung der Linie, die sich tatsächlich allein gegen einen Vierender wa g te. Das war der letzte Einsatz der Truppe.«
aus der Serie ›Drachentöterinnen und Drachentöter im Verlauf der Jahrhunderte‹
Im ›Münchner Tagesherold‹, Königlich-Bayerisches Hofblatt vom 10. Juli 1924
24. Januar 1925, Avranches (Normandie), Königreich Frankreich
Die Männer, die sich im Schein der Lampen um den größten Tisch im Gastraum versammelt hatten, starrten Silena und Grigorij mit einer Mischung aus Feindseligkeit und Neugierde an. Es war offensichtlich, dass die meisten von ihnen die beiden Fremden für den Vorfall in Saint Gervais verantwortlich machten oder sie zumindest damit in Verbindung brachten.
»Also hat das Wesen den Schädel von Aubert gestohlen«, brach Silena das Schweigen. »Und warum sollte es das tun? Was ist die Besonderheit an dem Schädel?«
Farou winkte dem Wirt, und gleich darauf brachte er einen Krug mit Wein und einen mit Wasser sowie ein Tablett voller kleiner Gläser. Die Getränke wurden ausgeschenkt und verteilt. »Sie kennen demnach die Legende um den Gründer des Mont-Saint-Michel nicht?«
»Nein. Wir kennen sie nicht«, antwortete Grigorij und leerte sein erstes Glas, schob es von sich und zog das nächste zu sich heran. »Hätten Sie die Güte und würden das ändern?«
»Wie er spricht«, lachte jemand. »Als wäre er ein König oder so etwas.«
»Er säuft auch so«, kam es aus der hinteren, im Dunkel liegenden Reihe, und dann erschallte lautes Gelächter.
Grigorij hob das Glas, prostete in die Runde und grinste. »Robust und charmant«, rief er. »So liebe ich die Franzosen.«
»Also, was Aubert angeht: Er ist der Gründer des Mont-Saint-Michel.« Farou zeigte auf ein Bild an der Wand, das den Berg mit dem Kloster im Mittelalter zeigte. »Die Legende besagt, dass der Erzengel Michael dem Bischof von Avranches, Aubert, um das Jahr 708 erschien und ihm befahl, eine Wallfahrtskapelle zu errichten. Durch die Berührung des Erzengels erhielt Aubert ein Loch im Schädel, und nach seinem Tod wurden die Gebeine nach Avranches gebracht und sein Schädel als Reliquie verehrt.«
»Hm.« Grigorij betrachtete das Bild. »Ein alter Knochen?«
»Vom Erzengel berührt, Monsieur!«, stellte Farou mit Stolz in der Stimme fest.
»Ich will gewiss nicht Ihre religiösen Gefühle verletzen, aber wer sagt Ihnen denn, dass es nicht der Kopf eines Unglücklichen ist, dem man ein Loch in den Schädel geschlagen und ihn auf das Kissen gelegt hat, damit die Menschen etwas zum Anbeten haben?« Der Russe zeigte sich unbeeindruckt von der Legende. Umso erstaunter fand er, dass Silena schwieg. »Was ist, Großmeisterin?«
Sie fand die Geschichte äußert aufschlussreich. Der Erzengel Michael galt als einer der Drachentöter, der Satan und seine Gefolgsleute bekämpft und besiegt hatte. Es konnte kein Zufall sein, dass es rund um den Mont-Saint-Michel seit dem Bau der gewaltigen Kirche keine Drachensichtungen mehr gegeben hatte. Der Mont-Saint-Michel barg ein Geheimnis. Ein wertvolles Geheimnis. »Sagen Sie, Monsieur Farou, wo kann ich mehr über den Berg lesen?«
»Im Rathaus. Dort haben wir die meisten alten Handschriften und Bücher des Klosters seit der Französischen Revolution archiviert, weil die Truppen die alte Klosteranlage vollständig ausgeräumt haben.«
Silena sah sich bereits wieder in einem muffigen Keller sitzen und im Schein von Öllampen oder funzeligen Glühbirnen lesen. »Sind es viele?«
»Na ja, Madame. Allein der mittelalterliche Bestand von zweihundert Pergamenthandschriften bietet einiges. Die meisten von ihnen sind gut lesbar«, antwortete ein junger Mann, der wie alle im Raum einfache Kleidung trug.
Seine Augen starrten hinter dicken Brillengläsern hervor, und dem Körperbau nach verdiente er seinen
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