Die Mächte des Feuers
Art, Drachen zu erlegen: Sie bezwang sie im wahrsten Sinne des Wortes von innen. Sie ließ sich von ihnen in einem Stück verschlingen, um sich anschließend durch die weichen, leicht zu durchdringenden Eingeweide nach außen zu schneiden. Natürlich gelang diese Methode nur bei ausgewachsenen Exemplaren sowie nach langer Vorbereitung; dass Martha sie beherrschte, bewies ihr hohes Alter.
»Wie haben Sie es dieses Mal angestellt?«
Sie grinste. »Ich habe mich von ihm beim Trinken verschlucken lassen. Es hat sich herausgestellt, dass sie dabei weniger misstrauisch sind als beim Fressen. Nachdem wir seine Wasserstelle gefunden hatten, lag ich im Schilf verborgen und ließ mich ins Maul treiben. Als er mich bemerkte, war es zu spät.« Martha betrachtete die Narbe. »Meine Rüstung aus Drachenschuppen und Kettenhemd hätte beinahe versagt, die Eckzähne lagen mir im Weg.« Sie grinste. »Es wäre eine Herausforderung, einen Teufel mit nur einem Arm aufzuschlitzen.«
Silena verneigte sich. »Ich bin jedes Mal voller Hochachtung für Sie.«
»Sie? Nun, dabei sind Sie es, die die Drachen am Himmel herausfordert und mit ihnen um die Wette fliegt.«
Martha sortierte die Akten wieder, dann zeigte sie Silena eine Aufnahme von einem gewaltigen vierköpfigen Monstrum. Es lag tot am Ufer eines Sees, in seinem weichen Bauch klaffte ein menschengroßes Loch, aus dem Innereien hingen und Magensäfte liefen. »Das war er. Ein Laufdrache und furchtbar gefräßig. Wir haben zehn Eier gefunden und zerstört, zwei Junge waren bereits geschlüpft. Aber mit den Kleinen werden auch die Anfänger fertig. An irgendetwas müssen sie ihr Handwerk erlernen.«
Silena betrachtete den Drachen: ein Albtraum von einem Geschöpf, für einen herkömmlichen Krieger nicht zu bewältigen, sondern nur im Verband von Drachentötern.
Glücklicherweise hatte die Kirche noch einige von ihnen zur Auswahl, deren Methoden so unterschiedlich wie die Männer und Frauen waren. Die Bandbreite reichte vom Bezähmen durch wunderschönen Gesang über das Besprengen mit einer bestimmten Substanz, bei deren Geruch die Ungeheuer wie in heftige Trunkenheit fielen und sich leichter töten ließen.
»Vier Köpfe. Er muss alt gewesen sein.«
»Ja. Ich war ihm lange auf der Spur.« Martha blickte sie an. »Haben Sie neue Hinweise durch die Untersuchung des Wracks erhalten, Großmeisterin?«
Silena verzog den Mund. Es hatte sich rasch herumgesprochen. »Nein«, antwortete sie schleppend.
Die ältere Frau, die ihre Mutter hätte sein können, legte die rechte Hand auf ihre Schulter. »Kommen Sie doch heute Abend auf den Empfang, den ich gebe. Trauer ist wichtig, aber zu viel davon kann die Seele schädigen. Vertreiben Sie ein wenig von Ihrem Kummer, und geben Sie mir die Ehre, Großmeisterin. Es wird das Andenken an Ihre Brüder nur erhöhen.«
»Was feiern Sie, Großmeisterin?«
»Meinen zwanzigsten Großen. Aber wenn Sie so weitermachen, werden Sie mich dreimal überrundet haben, wenn Sie in meinem Alter sind.« Martha nickte ihr freundlich zu. »Sie wissen, wo ich wohne. Der Empfang beginnt gegen sieben.« Sie schritt an ihr vorbei und trat durch eine Tür, auf der ARCHIV stand.
Silena rückte die Ehrenschärpe zurecht und setzte den Weg fort, nahm sich Mantel, Hut und Handschuhe und verließ das Officium; sie überquerte den Marienplatz, um sich in ein nahes Café zurückzuziehen.
Sie verzichtete auch dieses Mal darauf, von ihrem Privileg Gebrauch zu machen und den Bereich des Cafés zu betreten, in den nur Adlige, Räte und Bürger von Stand vorgelassen wurden. Sicher gehörte sie zu einer Elite, doch im Gegensatz zu manch anderen Mitgliedern des Officiums betonte sie dies nicht eigens. Man umgab sich gern mit Drachentötern, lud sie zu Theaterpremieren und Empfängen ein, um den Veranstaltungen besonderen Glanz zu verleihen. Viele erlagen der Verlockung des Ruhmes, Silena dagegen hielt sich zurück und tauchte niemals in den gesellschaftspolitischen Schlagzeilen der Zeitungen auf. Ihre Eltern hatten sie anders erzogen.
Stoff raschelte, und ein Mädchen von siebzehn Jahren stand neben ihrem Tisch und verneigte sich ehrfürchtig vor ihr. »Ein herzliches Willkommen. Mein Name ist Marie, und es ist uns eine Ehre, eine Drachentöterin zu Gast haben zu dürfen, Großmeisterin.« In den Augen war die Bewunderung zu lesen, und der leichte Schmäh in ihrer Stimme verriet, dass sie aus dem benachbarten Kaiserreich Österreich-Ungarn stammte.
»Vielen Dank.« Silena
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