Die Mächte des Feuers
Fünfender geben könnte, wenn es sich nicht um ein Gelege handelte. Ihr fiel nichts ein, sie war noch zu müde. Das Dösen im Sessel hatte ihr keine wirkliche Erholung beschert, aber sie durfte sich vorerst keinen Schlaf erlauben.
Sie blätterte in der Times und überflog auch den Artikel, der sich in der Nachberichterstattung um den spektakulären Raub im britischen kunsthistorischen Museum sowie im Imperial War Museum drehte. Keiner der geraubten Gegenstände war aufgetaucht, und die Zeitung veröffentlichte Skizzen und Fotos einiger verschwundener Gegenstände. Aufmerksam wanderte Silenas Blick über die Abbildungen. Neben dem ganzen Schmuck und der Kunstgegenstände hatten die brutalen Räuber ein Artefakt gestohlen, das mehr als nur materiellen Wert besaß: das Zepter des Marduk.
»Leide ich allmählich unter Verfolgungswahn?«, murmelte sie. »Was wollen sie damit?« Das keulengleiche Zepter, der Kopf aus massivem Gold und mit vier Klingen aus gehärtetem Silber besetzt, war eines der mächtigsten heidnischen Artefakte gegen Drachen, das die Menschheit kannte. Marduk vernichtete Tiamat und spaltete ihren Leib – so besagte es das Gilgamesch-Epos – in zwei Teile. Je nach der Fassung des Textes zerteilte er den Urdrachen mit dem Zepter.
Was in den Ohren einer Drachentöterin zunächst gut klang, bekam aus christlicher Sicht rasch einen schalen Beigeschmack. Marduk wurde unter anderem als Verkörperung des Beelzebub angesehen, und somit war sein Zepter ein Werkzeug des Teufels, egal ob es Gutes oder Schlechtes angerichtet hatte. Silena erinnerte sich an die Anmerkung von Erzbischof Kattla, der von Anfang an verlangt hatte, solche Artefakte unter Verschluss zu halten und sie nicht zur Schau zu stellen, weil sie das Ansehen der christlichen Drachenhelden schmälerten.
Universitäten, Freidenker und vor allem die Öffentlichkeit sahen es anders.
Silena blätterte um – und starrte auf die Fotografie eines Gegenstandes, den sie mit etwas Vorstellungsvermögen als Skizze bei Scottings gesehen hatte. Also war der Mann in Wirklichkeit ein Hehler, der mit den geraubten Gegenständen aus den Museen handelte! Das würde auch die Polizei interessieren. Und dieser Mister Skelton…
Die Droschke hielt vor der Niederlassung des Officiums.
Silena stieg aus und ließ den Kutscher auf sie warten, eilte durch das Gebäude und gab das Kästchen ab. Danach verlangte sie ein Telefon, um dem Erzbischof einen kurzen Bericht abzuliefern. »Ich habe keine Ahnung, Exzellenz, wo die Zusammenhänge bestehen oder ob es welche gibt«, schloss sie nach mehr als einer Viertelstunde. »Aber Zufälle sind es schon lange nicht mehr.«
»Nein, wirklich nicht«, erwiderte er abwesend. »Großmeisterin, Sie werden den Fall weiterverfolgen. Vorerst kein Wort zur Polizei. Stellen Sie diesen Scottings zur Rede, danach rufen Sie mich an. Es scheint mir angebracht, das Augenmerk auf die Geisterbeschwörer zu legen. Wenn sich alles um die einstigen Schüler dieses Homes dreht, sollten wir mit Sàtra sprechen, bevor sie uns auch aus dem Fenster springt oder bei einer Seance ums Leben kommt. Ich werde sie ausfindig machen lassen und Ihnen ihren Aufenthaltsort mitteilen.«
»Sehr gut, Exzellenz. Bis dahin habe ich von Scottings mehr erfahren.« Sie hörte an seiner Stimme, dass ihn etwas bedrückte. »Ist etwas geschehen?«
»Wir haben einen weiteren unserer Streiter verloren, Großmeisterin. Wieder ein heimtückischer Mord, der Beate traf, die jüngste Tochter von Großmeisterin Martha. Niemand hat den Hergang der Tat verfolgt. Wir fanden sie morgens tot und mit eingeschlagenem Schädel in ihrem Zimmer. Die Fenster und Türen waren verschlossen, es muss mit dem Teufel zugegangen sein. Es scheint, als hätten die Drachen einen Dämon als Verbündeten beschworen.«
»Exzellenz, wissen Sie etwas über die Zauberkunst der Drachen?«
Kattla überlegte. »Es gibt Aufzeichnungen darüber, gerade was das Historische und das Volkskundliche angeht. Da Sie das Zepter erwähnten: Hatte Tiamat nicht Zauberkräfte, die sie gegen Marduk einsetzte? Aber da ist auch sehr viel Unwissenheit der Menschen im Spiel.«
Silena erinnerte sich in dem Augenblick daran, als der Erzbischof es erwähnte. »Nein, ich meinte in der Gegenwart«, fügte sie hinzu, um sich die Blöße des Nichtwissens zu ersparen. »Mir kam kein derartiges Exemplar vor die Lanze.«
»Nein, nichts. Es gab jedenfalls im Lauf meiner gesamten Amtszeit keinen einzigen Bericht über einen hexenden
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