Die Mächte des Feuers
Drachen, insofern halte ich es generell für unwahrscheinlich, dass sie zaubern können.« Jetzt klang die Stimme ein wenig vorwurfsvoll. »Sie sollten sich in Erinnerung rufen, dass es keine derartigen Kräfte gibt, Großmeisterin. Auch wenn Sie viel mit den Spiritisten zu tun haben, behalten Sie im Kopf, dass sie nur mit Tricks und Gaukeleien arbeiten. Wie Sie mit Ihren Münzen.«
»Das weiß ich, Exzellenz«, bekräftigte sie rasch und sah auf die Uhr. »Ich muss gehen, Exzellenz. Die Männer warten sicher schon auf mich. Ich sage Ihnen Bescheid, was sich ergeben hat.« Sie reichte den Apparat zurück und eilte auf die Straße, stieg in die Droschke und kehrte in die Shankstreet zurück.
Der Lastwagen stand auf der Straßenseite gegenüber von Scottings' Laden, zwei ihrer Leute hielten vor dem Eingang Wache. »Es tut mir leid, Großmeisterin, aber ich fürchte, er ist verschwunden«, wurde sie von einem der beiden begrüßt. »Ich weiß nicht, wie es ihm gelungen ist, wir haben die Vorder- und Rückseite beobachtet, aber er…«
Silena sprang aus der Droschke – und unterdrückte den Schmerz, der in ihr Knie schoss. Sie hatte ihre Verletzung beinahe vergessen. An der Tür hing das Schild GESCHLOSSEN.
»Aufbrechen«, befahl sie kurzerhand.
Etwas später schritt sie durch die Räume der pfandleiherischen Antikhandlung.
Sie sah auf den ersten Blick, dass einige Gegenstände in den Regalen fehlten. Scottings hatte Dinge mitgenommen, die er zu Geld machen konnte, um seine Flucht zu finanzieren. Silena ärgerte sich, dass die Wachen ihn hatten entkommen lassen. Andererseits traf sie eine gewisse Mitschuld. Den nächsten Verdächtigen würde sie auf der Stelle festsetzen lassen.
Auch der Besuch in Scottings' Wohnung erbrachte nichts, bis auf die endgültig sichere Erkenntnis, dass er London verlassen hatte: Im Kleiderschrank herrschte eine gewisse Leere, die Männer fanden Prospekte von Schiffspassagen nach Frankreich und Amerika. Silena traute Scottings durchaus zu, sie zur Ablenkung ausgelegt zu haben.
»Verdammt!« Silena packte eine chinesische Vase und warf sie mit Kraft gegen die Wand, die Splitter flogen durch den Raum. »Gehen wir«, befahl sie und wandte sich auf den Absätzen um.
Auf das Telefonat mit der Exzellenz freute sie sich wahrhaftig nicht.
16. Januar 1925, Hauptstadt London, Königreich Großbritannien
Silena saß in der Kanzel des Luftschiffs, hatte die Beine hochgelegt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und verfolgte, wie eine De Havilland D.H.34, eine Passagiermaschine der neuen Generation, in der Abenddämmerung zur Landung auf dem Rollfeld ansetzte.
An Bord waren Fluggäste aus Paris, die eine lange Reise über Land oder gar übers Meer durch den Kanal nicht auf sich nehmen wollten. Die Fluggesellschaft Imperial Airways verkehrte regelmäßig zwischen den Metropolen. Die Fliegerei hatte die Menschheit unzweifelhaft enger miteinander verbunden als jedes Transportmittel zuvor, sogar mehr als die Eisenbahn. Distanzen schwanden, Berge bedeuteten fast kein Hindernis mehr.
Das Dröhnen der Motoren war wie Musik in Silenas Ohren. Sie liebte die Fliegerei in all ihren Facetten, auch wenn ihr die Luftschiffe bei aller Eleganz und Erhabenheit zu langsam flogen. Aber ansonsten wagte sie sich an den Steuerknüppel von allem, was Tragflächen hatte, ganz egal, wo sie sich befanden. Nur nicht bei Automobilen.
Die D.H.34 setzte auf, hopste noch einmal und rollte über die Piste, die Propeller verringerten ihre Leistung und klangen tiefer, es vibrierte in ihrem Bauch.
Hauptmann Litzow erschien an ihrer Seite. »Großmeisterin, es tut mir leid, Sie bei Ihren Gedanken zu stören, aber Sie haben Besuch.«
Sie seufzte. »Wenn es dieser Skelton ist…«
»Nein. Ein Mann namens Eris Mandrake.« Er rollte mit den Augen und zwirbelte die aufrecht stehenden, gewachsten Enden seines Schnauzbarts. »Mich würde interessieren, wie seine Familie zu diesem Namen kam.«
»Sie wird sich entsprechend benommen haben, Hauptmann.« Silena rührte sich nicht und verfolgte, wie die D.H.34 langsamer wurde und die Bodenmannschaft heraneilte, um den neun Passagieren beim Verlassen der engen Kabine behilflich zu sein. Diese Maschine war im Vergleich zu den alten Passagierflugzeugen, die meist umgebaute Bomber waren, geradezu komfortabel. Die Konstrukteure hatten versucht, die Vibrationen und den Schall der Motoren zu dämpfen, die Menschen saßen auf Korbstühlen und erhielten sogar Verpflegung während des
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