Die Mächte des Feuers
übersteigen.«
»Meine Güte, Sie klingen bedrohlich«, sagte Arsenie gespielt eingeschüchtert. »Ich empfehle, dass wir die Besonnenheit nicht verlieren. Unser Gegenschlag darf nicht öffentlich werden, sonst dient er der Kirche dazu, einen Kreuzzug gegen uns auszurufen. Ich sage nur: Hexenverfolgungen.«
Valentine schwieg wieder. Sie konnte sich vorstellen, wie er sich zur Ruhe zwang und mit sich rang. »Finden wir erst heraus, was hinter dem Verschwinden steckt, dann sehen wir weiter«, meinte er. »Au revoir, Madame.«
»Au revoir, Mister Valentine. Und achten Sie auf sich und Ihre Umgebung.« Sie hängte ein. Im nächsten Augenblick öffneten sich die Türen, und der Butler kehrte mit dem Champagner in einem neuen, mit Eis gefüllten Kühler zurück.
»Verzeihen Sie, Madame Sàtra. Die Flasche war nicht kalt genug. Ich musste in den Keller, eine neue holen«, erklärte er die Verspätung und befreite den Flaschenhals vom Korken, ohne ihn knallen zu lassen. Gekonnt schenkte er ein. »Wohl bekomm's, Madame.« Er stellte die Flasche auf Eis und verschwand wieder.
Sie schlürfte, schloss die Augen und lehnte sich auf den Diwan. Sie dachte an Valentine.
Er stammte aus Italien und hieß eigentlich Valentino, bis er nach einem Aufenthalt in England seinen Namen geändert hatte und als Claudio Valentine ins Königreich Baden gezogen war. Bald hatte er eine eigene Schule gegründet, um Menschen gegen viel Geld in die Geheimnisse des Spiritismus einzuweihen.
Natürlich griff er bei diesen Seancen nicht auf seine echten Kräfte zurück, sondern arbeitete mit allen möglichen Tricks. Die Leute, die zu ihm kamen, merkten den Unterschied nicht. Aber er entließ sie in dem Glauben, dass jeder in der Lage war, kleine Wunder zu vollbringen, wie beispielsweise Wattebäusche mit bloßer Gedankenkraft zu bewegen.
»Wattebäusche!«, lachte sie. »Wieso sollte jemand solche Nichtskönner entführen?«, fragte sie sich und wandte sich dem Fenster zu, sah das endlose Heer der Schneeflocken vor dem Glas vorüberstürzen. Andererseits wusste ja auch keiner, dass die Verschwundenen keine echten Medien waren.
Arsenie hätte die Meinung geteilt, dass die Kirche die Medien jagte – wenn sie nicht dieses eigene Erlebnis gehabt hätte. Sie hatte die Drachenmaterialisation als eine Warnung verstanden, ihre eigenen Ziele nicht weiter zu verfolgen.
Da kannte sie das Scheusal schlecht.
Sie nahm das Telefon wieder zur Hand. »Vermittlung, verbinden Sie mich mit folgender Nummer.« Nachdem sie die Zahlen genannt hatte, knackte es ein paar Mal. Es dauerte eine Weile, dann erfolgte das Klingelzeichen.
»Ja?«, meldete sich eine unbekannte Männerstimme.
»Mister Scottings?«
»Nein, Madame. Mit wem spreche ich, bitte?«
Arsenie unterbrach das Gespräch, überlegte fieberhaft. Es war kein gutes Zeichen, wenn ein Fremder ans Telefon ging und seinen Namen nicht nannte: entweder ein Verbrecher oder die Polizei.
»Verflucht, gelingt mir denn gar nichts mehr?!«, ärgerte sie sich, stand auf und ging ins Ankleidezimmer, um sich ein paar schöne, funktionale Kleider auszusuchen.
Sie streifte das Nachthemd ab, legte das Mieder und ein Spitzenhöschen an, darüber kam das lange, schwarze Satinkleid mit den kurzen Armen, zu dem die schwarzen, langen Handschuhe so gut passten. Dann drehte sie sich mit einem Brennstab Locken in die langen weißblonden Haare und setzte eine kleine, schwarze Kappe auf, an der vorne ein Spitzenschleier angebracht war. Mithilfe von etwas Schminke hatte sich Arsenie in die Frau verwandelt, die angehimmelt und gehasst wurde.
Sie warf sich den weißen Pelzmantel über und trat aus ihrer Suite, fuhr mit dem Lift nach unten und ließ sich vom Concierge ihren Maybach vorfahren. Sie bevorzugte es, selbst das Steuer in die Hand zu nehmen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Sie lenkte das Automobil durch den Verkehr, hupte oft und beschimpfte dabei alle, die es wagten, ihre Fahrt zu verlangsamen. Schließlich hielt sie vor der Kaiserlich-Preußischen Bank an und eilte hinein.
»Guten Tag, Madame Sàtra«, wurde sie an der Tür von einem Bediensteten begrüßt. »Es geht Ihnen gut, hoffe ich?«
»Danke, ja, Hubert«, erwiderte sie mit einem Lächeln, wandte ihm den Rücken zu und ließ den Mantel von den Schultern gleiten, den er auffing und sich über den Arm legte. Dutzende Männer warfen ihr mehr oder weniger offen begehrende Blicke zu. »Was denn?«, rief sie in die Runde. »Noch keine schöne Frau gesehen?« Die
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