Die Mächte des Feuers
Brandenburger Tor kamen und die Autos zum Stehen bleiben zwangen; gleich darauf wurde ein herrlich anzuschauender Sechsspänner sichtbar, auf dem der preußische Adler aufgemalt war. Der Kaiser kam mal wieder zu Besuch ins Adlon, und wie immer verursachte der verschwenderisch in Szene gesetzte Auftritt einen Stau in den Straßen. Wie gerne hätte sie diesen Protz und Prunk auch einmal für sich: Kaiserin Arsenie. Ein schöner Titel.
»Vielleicht haben sie die nächste Stufe des transzendentalen Zustandes erreicht?«, schlug sie nicht ganz ernsthaft vor. »Die nach der Selbstlevitation.«
»Wir haben nichts mit der indischen Lehre am Hut, Madame«, wurde sie verschnupft zurechtgewiesen.
»Es war ja nur ein Vorschlag, seien Sie nicht gleich beleidigt, Mister Valentine.«
»Mein Humor hat mich verlassen, Madame. Wie können Sie nur so gelassen bleiben, angesichts der Umstände?«
»Wer sagt, dass ich gelassen bin?« Sie kehrte auf den Diwan zurück, legte sich darauf und zog mit dem rechten Fuß zweimal die Klingelschnur. Gleich darauf erschien ein Butler, der ihr Champagner brachte. »Welche Theorie verfolgen Sie, Mister Valentine?«
»Ich denke, dass die Kirche dahintersteckt«, antwortete der Spiritist ohne zu zögern. »Unsere Bewegung hat immer mehr Zulauf zu verzeichnen, wir sind Berater von vielen Persönlichkeiten, von der Wirtschaft über Prominente bis hin zu Politikern und Fürsten. Niemand kommt auf die Idee, einen Bischof oder einen Abt nach der Meinung Gottes zu fragen.«
»Ich stimme Ihnen nur bedingt zu«, erwiderte sie. Sie richtete sich halb auf, stellte das schwere Mikrofon auf den Tisch und trank von dem Champagner. »Mir ist da vor einigen Tagen eine seltsame Sache passiert. Die Materialisation eines schwarzen, fünfköpfigen Drachens mit gelben Augen ist während einer Seance aufgetaucht und hat mich angegriffen. Kennen Sie einen ähnlichen Fall?«
Valentine zögerte. »Nein, Madame. Hat er versucht, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen?« Jetzt klang er erregt. »Das wäre eine Sensation!«
»Kontakt kann man so nicht sagen. Er hat versucht«, sie leerte das Glas und schickte den Butler mit einem Wink davon, um ein weiteres zu holen, »mich umzubringen. Seine verdammten Köpfe schnappten nach mir. Daher hatte ich angenommen, dass die Drachen hinter den Morden an unseren Freunden und Rivalen stecken.«
»Madame, ich gestehe, dass mir das alles zu rätselhaft ist.«
»Befragen Sie doch Ihre Geister, Mister Valentine«, merkte sie spitz an. »Sie können doch gut mit ihnen, wie man hört. Oder sollte es am Ende stimmen, dass Sie auch zu den Scharlatanen gehören?« Arsenie sandte ein fröhliches Lachen hinterher, um den Mann sofort zu beschwichtigen. »Nein, ich weiß. Vieles ist im Dunkeln. Wir brauchen stärkere Kräfte als automatisches Schreiben, Levitation, Geisterkräfte und die Welt des Jenseits.«
»Einen Seher, Madame. Da stimme ich Ihnen zu. Nur dumm, dass mit Irmser und Padasamam die fähigsten verschieden sind.« Valentine schwieg. »Was ist mit dem Russen?«
»Er ist schon lange abgereist. Nach dieser gewaltigen Ruhestörung, die er sich geleistet hat, verließ er das Hotel mit unbekanntem Ziel. Seine Sachen wurden im Lauf der Woche abgeholt.« Sie bedauerte sehr, dass sie so spät von Grigorij Wadim Basilius Zadornovs Aufenthalt erfahren hatte, sonst hätte sie ihm viel früher ihre Aufwartung gemacht. Man erzählte sich bei aller Jugendlichkeit wahre Legenden über seine Manneskraft und seine Liebeskunst. Nicht zuletzt galt er als ein Medium, dessen Weissagungen stets eingetroffen waren. Früher oder später.
»Was halten Sie davon, wenn Sie ihn ausfindig machen und ihn bitten, dass er sich schon im eigenen Interesse mit dem Verschwinden und den Morden an unseren Kolleginnen und Kollegen beschäftigt?«, unterbreitete Valentine.
»Wieso ich, mein Lieber?«
»Kennen Sie noch eine Frau, die attraktiver ist als Sie, Madame?«
Arsenie lachte wieder. »Sie Charmeur. Und zudem haben Sie noch Recht.« Ungeduldig zog sie mit dem Fuß wieder an der Klingel, es dauerte einfach zu lange, bis der Champagner serviert wurde. »Was tun wir, wenn er herausfindet, wer hinter dem Ganzen steckt?«
»Wir nehmen die Herausforderung an, schlage ich vor.« Valentine klang kampfbereit. »Es wird unglaublich viele erstaunte Gesichter geben, wenn sich herausstellt, dass nicht alle von uns bloße Betrüger sind, sondern mit Mächten im Bund sind, welche die Vorstellungskraft der Menschen
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