Die Maechtigen
zum Mittagessen?«, fragte sie. Gabriel war der Herr über den Terminkalender des Präsidenten.
»Bitte, tu das nicht«, flehte er sie an.
»Was soll ich nicht tun?«
»Worum geht es? Ein Empfang im Oval Office? Oder soll der Präsident bei deiner Jahresversammlung sprechen?«
»Es ist eine Pflegekonferenz, und es nehmen die besten Wissenschaftler daran teil, die sich mit Gehirnverletzungen beschäftigen«, erklärte sie. In diese Angelegenheit hatte sie viel Zeit investiert. »Mein Bruder hat mir schon versprochen zu kommen, aber als ich dann mit Gabriel gesprochen habe …«
»Hör zu, du weißt, wenn Gabriel nein sagt, dann heißt das nein « , erwiderte er. Er griff nach dem Ohrhörer des Secret-Service-Funkgerätes, die einfachste Methode, etwas über den Aufenthaltsort des Präsidenten zu erfahren, als er plötzlich laute Stimmen hinter sich hörte. Über die Schulter hinweg sah er im Korridor des Erdgeschosses eine Phalanx von Angestellten, den persönlichen Assistenten des Präsidenten, seinen Generalstabschef, den Pressesekretär und einen älteren schwarzen Redenschreiber, die sich nach und nach vor dem privaten Fahrstuhl des Präsidenten versammelten. Palmiotti beobachtete dies jetzt seit drei Jahren. Das Funkgerät konnte man getrost vergessen. Der persönliche Assistent bekam als Erster den Anruf des Kammerdieners, wenn dieser den Anzug für Wallace bereitlegte.
Und jetzt blinkte auch das rote Licht über dem Fahrstuhl. Agent Mitchel flüsterte etwas in das Mikrofon an seinem Handgelenk, und sofort tauchten aus dem Nichts zwei weitere Agenten des Secret Service auf. Dreißig Sekunden danach trat Präsident Orson Wallace mit frischem Anzug und mit Schlips aus dem Fahrstuhl, um den Tag zu beginnen. Ohne den Schwarm von Beratern zu beachten, schaute er sich kurz in der Eingangshalle um.
Der Doktor schüttelte den Kopf.
Nicht jeder Präsident ist auch ein großer Redner. Nicht jeder Präsident ist ein großer Denker. Aber in der heutigen Zeit beherrscht jeder Präsident eine Sache perfekt: Blickkontakt. Bill Clinton war zum Beispiel ein Meister darin. Wenn man mit ihm sprach, während er zum Beispiel eine Limonade trank, blickte er einen durch den Boden des Glases weiterhin an, nur um einen nicht loszulassen. Wallace war kein bisschen anders. Als er also aus dem Fahrstuhl trat und sich umschaute, anstatt sich seinen Beratern zu widmen …
… wusste Palmiotti, dass in der letzten Nacht etwas wirklich Schlimmes passiert sein musste.
Geben Sie mir eine Minute , bedeutete der Präsident seinem persönlichen Assistenten per Handzeichen und ging durch die kleine Gruppe hindurch direkt in Palmiottis Richtung.
Natürlich wollten die Angestellten ihm folgen.
Aber als der Präsident den Rezeptionsbereich der medizinischen Abteilung betrat, hielt die Meute inne. Der Redenschreiber und der Pressesekretär wie auch der Secret Service machten an der Tür Halt und warteten im Gang. Es war ihnen vollkommen klar, dass sie während eines Privatbesuchs beim Doktor des Präsidenten nun wirklich nicht gefragt waren.
» Dr. Palmiotti …«, murmelte die diensthabende Schwester panisch. Der Präsident war noch nie ohne einen offiziellen Termin vorbeigekommen.
»Ich sehe ihn!«, rief Palmiotti aus seinem Büro.
»Wo haben Sie ihn versteckt? Wussten Sie eigentlich schon, dass er wieder ausgeht? Hat er es Ihnen erzählt?«, flachste der Präsident mit strahlendem Lächeln und spielte seinen ganzen Charme aus. Die Schwester ließ sich beeindrucken und auch die beiden Berater, die ihm ein Stück gefolgt waren. Nicht aber seinen alten Freund, den er schon in der fünften Klasse genötigt hatte, seine mit Schokolade gefüllten Kekse gegen Wallaces einfache Waffelkekse einzutauschen.
Als ihre Blicke sich trafen, sah Palmiotti den Taifun kommen. Diesen Blick hatte er im Gesicht des Präsidenten erst dreimal gesehen: einmal während der Präsidentschaft, einmal als Gouverneur und einmal in der Nacht, über die sie nicht mehr redeten.
An der Schwelle zu Palmiottis Büro hielt der Präsident inne, und in diesem Moment fiel Palmiottis Blick auf das Buch in der Hand des Präsidenten.
Der Arzt hob eine Augenbraue. Wir sind nicht alleine , sollte das heißen.
Wallace beugte sich vor und entdeckte seine Schwester, die den Flamingostock erhob und mit dem Schnabel salutierte.
Das war nicht gerade eine ideale Situation.
Dem Präsidenten war es offensichtlich gleichgültig. Er betrat Palmiottis Büro, das mit den Diplomen der
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