Die Mädchen (German Edition)
nickte nur und Funke fragte
sich in diesem Moment, was genau an diesem Freund nicht stimmte, wenn er so gar
nichts über ihn erzählen wollte.
Jacqueline Tarnat saß auf ihrem
Platz und wartete auf das Klingeln zum Stundenbeginn. Dass Merle wieder
aufgetaucht war, hatte mehrere Emotionen in ihr ausgelöst. Sie war erleichtert,
dass ihr nichts zugestoßen war und sie selbst nicht länger fürchten musste, von
der Polizei in die Mangel genommen zu werden. Andererseits war sie auch wütend
auf sie, dass sie sie überhaupt in eine solche Situation gebracht hatte. Wie
konnte sie einfach untertauchen, ohne jemandem zu sagen, wo sie war? Hatte sie
denn nicht darüber nachgedacht, was sie damit ihren Eltern antat? Sie sah Merle
aus der Pause zurückkommen und wich ihrem herausfordernden Blick aus. Sie
pflanzte sich auf den Stuhl neben ihr und stöhnte.
„Das war ja mal wieder ne Stunde.“
„Du warst ja nur die Hälfte da.“
„Nun sei mal nicht so zickig“,
sagte Merle.
Jacqueline holte ihren Zopf nach
vorne und betrachtete nachdenklich ihre Haarspitzen. „Wo bist du eigentlich
gewesen?“
„Also, was ihr alle habt. Da fehle
ich mal einen Tag und alle drehen durch.“
„Na ja, ganz so ist es ja nicht.“
Merle zuckte nur mit den Achseln.
„Kommt mir aber so vor. Bei euch muss es ja echt langweilig sein.“
Jacqueline schüttelte fassungslos
den Kopf. „Na du bist ja drauf.“
Sie sah Rouven hereinkommen und wie
er den Blickkontakt in ihre Richtung vermied. Hatte es da ein Zusammentreffen
auf dem Flur gegeben? Wenn ja, war es sicher nicht nett verlaufen. Seit dem
Vorfall auf der Party waren die beiden verfeindet. Sie hatte nicht verstanden,
warum Merle es unbedingt darauf angelegt hatte, Rouven fertig zu machen, wusste
sie doch von ihr selbst, dass sie ihn eigentlich ziemlich gut leiden konnte.
Warum machte sie ihm dann das Leben zur Hölle? Was hatte sie davon? Anscheinend
hatte sie ihre Meinung über ihn wohl geändert, aber warum das so war, wusste
sie nicht und sie würde es wohl auch nicht erfahren. Ihre Freundschaft zu Merle
war zu jenem Zeitpunkt bereits Geschichte. Und warum dachte sie dann überhaupt
noch darüber nach? Sie wusste doch aus eigener Erfahrung am besten, dass man
nie voraussehen konnte, was in Merle vorging. Und verstehen konnte man sie auch
nicht.
„Hattet ihr mal wieder Streit?“
„Das ist so ein Baby.“
Jacqueline wurde an
einer passenden Antwort gehindert, weil Frau Sonntag den Raum betrat. Sie
sprang wie alle ihre Mitschüler auf und wartete darauf, den Gruß der Lehrerin
zu erwidern und sich dann wieder setzen zu können.
Frau Sonntag reagierte
nicht überrascht, dass Merle an ihrem gewohnten Platz saß, wahrscheinlich hatte
sie schon von Tenfelde gehört, dass sie wieder da war, aber sie bedachte sie
mit einem missbilligenden Blick. Jacqueline vermutete, dass sie ihr nach der
Stunde ordentlich den Kopf waschen würde. Womöglich drohte ihr auch ein Besuch
beim Rektor. Sie war allerdings ziemlich sicher, dass das alles an Merle
abprallen würde, sie hatte ein dickes Fell. Jacqueline versuchte wirklich, dem
Verlauf der Stunde zu folgen, aber das war nicht leicht mit ihrer ehemalig
besten Freundin an ihrer Seite, deren Anwesenheit sie an den Besuch der Polizei
bei ihr zu Hause und dessen Folgen erinnerte. Als die beiden Beamten vor ihrer
Tür standen, hatte sie gewusst, dass es für sie kein gutes Ende nehmen würde.
Umso erleichterter war sie über das abrupte Ende der Befragung. Allerdings
hatte sie die Rechnung ohne ihre Mutter gemacht, denn die war offenbar
neugierig geworden.
„So, Jackie“, sagte sie, als sie
wieder zu ihr in die Küche kam, nachdem sie die beiden Beamten zur Haustür
gebracht hatte. „Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten.“
Jacqueline konzentrierte sich
eifrig auf das Verteilen des Kuchenteigs auf dem Blech und tat so, als ob sie
sie nicht gehört hatte. Ihre Mutter nahm ihr die Schüssel aus der Hand.
„Setz dich bitte.“
Ihr Ton war mehr als ernst und fuhr
ihr bis ins Mark. Sie hasste es, wenn ihre Mutter so war, weil sie ihr das Gefühl
vermittelte, sie enttäuscht zu haben. Und das war das Letzte, was sie wollte.
Sie wusste, wie schwer es für ihre Mutter seit dem Tod ihres Vaters war, ihr
ein Leben zu ermöglichen, das nicht von Entbehrungen gekennzeichnet war. Sie
tat alles für sie, ohne dass sie eine Gegenleistung dafür erwartete, als Mutter
war das wahrscheinlich völlig normal, aber konnte sie dann nicht zumindest
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