Die Mädchen (German Edition)
erwarten,
dass sie ihr keinen Kummer bereitete? Sie folgte ihrer Bitte und wurde von ihr
Mutter mit einem nachdenklichen Blick bedacht.
„Stimmt es, was die Polizisten eben
gesagt haben?“
Sie wich ihrem Blick aus. Natürlich
wusste sie, was sie meinte. „Was?“
„Dass ihr euch gestritten habt.
Merle und du.“
„Ich hatte ihr gesagt, dass du
nicht möchtest, dass wir uns weiterhin treffen.“
Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
„Soweit waren wir doch schon. Ich hab dich beobachtet, als die Frau eben ihre
Vermutung geäußert hat und ich kenne dich. Sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen.
Ihr beide habt euch gestritten und es muss etwas Schlimmes sein, sonst hättest
du es mir längst erzählt.“
Jacquelines Augen füllten sich mit
Tränen. „Ich konnte es dir doch gar nicht erzählen, weil ich dir doch
versprochen hatte, mich nicht mehr mit Merle zu treffen.“
Das leuchtete ihrer Mutter ein.
„Also schön. Jetzt weiß ich ja, dass du dich nicht daran gehalten hast. Was war
los?“
Also hatte sie es ihr erzählt. Und
nachdem sie erst einmal zu erzählen begonnen hatte, sprudelte es nur so aus ihr
heraus. Es war viel einfacher, als sie vermutet hatte und sie fühlte sich danach
mehr als erleichtert. Ihre Mutter hatte ihr mit großen Augen zugehört. Sie war
sichtlich schockiert.
„Ich bin froh, dass du dich nicht
darauf eingelassen hast“, sagte sie. „Aber was machen wir jetzt?“
„Gar nichts. Ist doch ihre Sache.“
Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
„So geht das aber nicht, mein Schatz. Was Merle da tut, ist illegal und wer
immer auch dahinter steckt, kann dafür ins Gefängnis kommen. Wenn wir das jetzt
für uns behalten, machen wir uns mitschuldig.“
Das war ihr auch klar, aber sie
musste an die Drohung ihrer Freundin denken. „Bitte Mama, geh nicht zur
Polizei. Sie wird mich fertig machen.“
Ihre Mutter dachte einen Augenblick
nach. „Also schön“, seufzte sie schließlich. „Ich glaube, es gibt da noch eine
andere Möglichkeit.“
Ein Ellenbogenstoß in die Seite
riss sie aus ihren Gedanken. Merle machte sie darauf aufmerksam, dass sie ihr
einen Zettel hinüberschob. Sie sah hoch zu Frau Sonntag, die auf die Lektüre
konzentriert schien und sie nicht im Blick hatte und klappte den Zettel auf.
War
die Polizei bei euch?
Jacqueline stockte der Atem. Was
sollte sie antworten? Sollte sie lügen? Das machte wenig Sinn, denn Merle würde
ohnehin von den Klassenkameraden erfahren, dass die Kommissarin in der Schule
mit ihr gesprochen hatte.
Ja , schrieb sie zurück. Aber
ich habe ihnen nichts gesagt.
Es dauerte nicht lange und sie
hatte Merles Reaktion. Das will ich dir auch geraten haben. Du weißt, was
sonst passiert.
Lars Müller saß in seinem Büro und
konnte von dort aus wunderbar über den gesamten Schrottplatz gucken. Sein
Reich. Es war ein imposanter Anblick. Er konnte sehen, wie seine Mitarbeiter
unten oder auf dem Kran herum wuselten und er sah die Kunden ankommen. Streng
genommen waren es noch die Kunden seines Vaters, der immer noch nicht bereit
war, seinen Stuhl komplett zu räumen, aber heute war er allein und genoss das
Gefühl. Er hatte die Füße auf dem Tisch, einen Becher Kaffee in der einen Hand
und sein Telefon in der anderen am Ohr, durch das er soeben die vierte
Wiederholung eines etwa einminütigen Loops von Don’t worry, be happy von Bobby McFerrin vernahm.
Er hing in der Warteschleife, weil
Simon wohl noch ein Gespräch auf der anderen Leitung hatte oder vielleicht noch
nicht an seinem Platz war. Er hasste dieses Lied und er schwor sich, spätestens
bei der sechsten Wiederholung aufzulegen. Er hatte es zunächst bei Grothes zu
Hause versucht, aber dort war nur das Band angesprungen. Eigentlich komisch. Er
hatte angenommen, dass Cordula und Simon am Telefon klebten, weil sie auf eine
Nachricht ihrer Tochter hofften. Er hatte wenig Hoffnung gehabt, Simon bei der
Arbeit anzutreffen - wer ging zur Arbeit, wenn die einzige Tochter seit einem
Tag vermisst wurde? - aber man hatte sofort versucht, ihn durchzustellen.
Sein Sohn hatte ihn ziemlich
beunruhigt. Nachdem Rouven ihn so seltsam angesehen hatte, hatte er es
richtiggehend mit der Angst zu tun bekommen. Was wusste der Kleine? Hatte Merle
ihm irgendetwas erzählt? Gegenüber der Polizei hatte er ja so getan, als hätten
sie gar keinen Kontakt gehabt, aber er wollte ihm das nicht abkaufen. Rouven
war nervös gewesen. Nein, mehr als das. Aufgeregt? Ängstlich? Besorgt?
Schuldbewusst?
Er hatte
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