Die Mädchen (German Edition)
hatte.
„Findest du nicht, dass du dich
genug gequält hast? Es ist nicht deine Schuld, egal, was die anderen alle
sagen.“
Das sagte sich so leicht. Von außen
betrachtet mochte das für ihn zutreffen, aber sie konnte deshalb noch lange
nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen. Ihre Nichte war tot und das
wäre nicht passiert, wenn sie sich anders verhalten hätte.
„Willst du heute Nachmittag noch
mal rüber gehen und mit Almut reden?“
Sie hatte es am Tag zuvor noch
einmal versucht, aber es war nicht möglich gewesen, sie unter vier Augen zu
erwischen. Judith ging ja noch, aber Zoe war nicht von ihrer Seite gewichen. So
war kein echtes Gespräch zwischen ihnen zustande gekommen. Sie schüttelte den
Kopf.
„Nicht solange Zoe da ist.“
„Was ist das eigentlich mit euch?“
Sie machte eine wegwerfende
Handbewegung. „Machst du mir noch einen Toast?“
Ole holte zwei Scheiben aus der
Packung und steckte sie in den Toaster.
„Hast du eigentlich mal einen
Streit mit Sina gehabt?“ Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und sie konnte
sehen, wie sich seine Schulterpartie bei ihrer Frage verspannte.
„Wie kommst du darauf?“ fragte er
gedehnt.
„Ich dachte, vielleicht lag es ja
nicht nur an mir, dass sie plötzlich nicht mehr zu uns kommen wollte.“ Sie
hatte Zoes Andeutungen nicht vergessen.
„Wir haben uns nicht gestritten.“
Der Toast war fertig und Ole
reichte ihr eine Scheibe. Die andere bestrich er mit Butter und stippte sie
anschließend in seinen Kaffee.
„Ist etwas anderes zwischen euch
vorgefallen?“ Sie tat es ihm nach.
Er biss von seinem Toast ab. „Was
meinst du?“ Und dann schien er zu begreifen. „Du willst doch nicht etwa sagen,
dass ich sie angefasst habe?“
Seine Entrüstung kam echt rüber,
aber war sie das auch? Er war ein guter Schauspieler, wie sie aus eigener
Erfahrung wusste.
„Es wäre ja nicht das erste Mal.“
Er haute mit der Faust auf den
Tisch. „Das war etwas völlig anderes. Wir sprechen hier von deiner
vierzehnjährigen Nichte, verdammt noch mal.“
„Wie du schon richtig sagst, meine
Nichte, nicht deine.“
Er schüttelte den Kopf, einen
fassungslosen Ausdruck im Gesicht. „Ich glaub das nicht.“
Sie vertilgte den Rest ihres Toasts
und wunderte sich selbst, wie ruhig sie bleiben konnte. Es lag wohl daran, dass
sie schon zu lange darüber nachgedacht hatte, als dass sie jetzt noch aufgebracht
sein konnte.
„Ich muss jetzt los.“ Sie stand
auf.
„Nein, so geht das nicht. Du kannst
mich jetzt nicht einfach hier stehen lassen.“
„Ich muss um neun da sein.“
„Das ist mir egal. Du willst die
Wahrheit?“
Sie erstarrte. Wollte er ihr
wirklich die Wahrheit sagen? Und vor allem, wollte sie das? Wenn er ihr jetzt
reinen Wein einschenkte, gab es kein Zurück mehr. Dann konnte sie nichts mehr
verleugnen, sondern musste damit leben, was immer er ihr auch erzählte. Sie
blieb stumm, was er als ein Ja deutete.
„Okay, ich geb dir die Wahrheit.
Komm mit.“
„Wohin?“
„Ins Arbeitszimmer.“
Er ging und zog sie beinahe hinter
sich her. Er schritt zu seinem Schreibtisch an seinen Computer. Es dauerte eine
Minute, bis er hoch gefahren war. Birthe hatte keine Ahnung, was da jetzt
kommen sollte, aber die Zeit saß ihr im Nacken. Ihr Gruppenleiter verstand bei
Zuspätkommen keinen Spaß.
Ole loggte sich im Internet ein und
tippte anschließend eine Adresse ein. Dann drehte er den Schirm in ihre
Richtung. „Hier. Das ist deine Nichte.“
Sie zog die Luft ein. Er hatte
Recht. Es war Sina, die da auf dem Bildschirm in Posen zu sehen war, in denen
man eine Vierzehnjährige nicht sehen sollte. Sie war zurechtgemacht wie ein Pornostar,
aber immer noch als Mädchen zu erkennen, was wohl der besondere Reiz daran war.
Birthe war schockiert. Ein Schriftzug behauptete, dass „Joyce“, offenbar ihr
Internetname, alles tun würde, was man ihr sagte, wenn man bezahlte. Ein Girlie
ohne Tabus. Birthe hätte kotzen können. Dass es Männer gab, die darauf
abfuhren, war einfach nur ekelerregend.
„Gott, wie schrecklich.“
„Ich hab sie darauf angesprochen.
Ich hab ihr gesagt, sie soll sofort damit aufhören, sonst sage ich es ihren
Eltern.“
„Wann hast du mit ihr darüber
gesprochen?“
„Vielleicht vor zwei Wochen
ungefähr.“
„Und? Wie hat sie reagiert?“
„Sie hat gesagt, wenn ich das
jemandem erzähle, wird sie sagen, dass ich sie angefasst habe.“
„Also hast du geschwiegen.“
„Ich kann mir so was nicht leisten,
das
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