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Die Mädchen (German Edition)

Die Mädchen (German Edition)

Titel: Die Mädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Döhring
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vergessen. Aber war das ein Wunder?
    „Tut mir leid, Pierre. Das hab ich
total vergessen.“
    „Das scheint mir auch so. Ich lass
mich von dir doch nicht verarschen. Erst schreibst du mir, wie sehr du dich
freust und dann tauchst du nicht mal auf.“
    „Bitte Pierre, lass mich dir
erklären. Meine Tochter ist...“
    „Das interessiert mich nicht.
Glaubst du, ich bin auf dich angewiesen? Pah! Ich kann hundert andere haben,
jede Minute, und alle jünger als du.“
    Das glaubte sie ihm aufs Wort, aber
darum ging es ja wohl nicht. Es war eine Verabredung, die sie vergessen hatte,
weil ihre Tochter ermordet worden war. Das war ja wohl entschuldbar.
    „Meine Tochter...“
    Er unterbrach sie erneut. „Was
bildest du dir eigentlich ein, mich zu versetzen? Du bist eine Frau in den
Wechseljahren und kannst froh sein über jeden, den du noch ins Bett kriegen
kannst.“
    Sie hätte ihn sofort wegdrücken
sollen, aber sie konnte es nicht. Was fiel ihm ein, sie so dermaßen zu demütigen?
    „Den Job bei uns kannst du dir in
die Haare schmieren. Das war’s.“
    „Ich hab eine Verabredung
verpasst“, war alles, was sie herausbekam.
    „Aber meine Frau hat im Hotel
angerufen und sie wusste anscheinend sehr genau, was sich in unserem Zimmer abspielen
sollte. Hast du ihr einen Tipp gegeben? Sie will sich scheiden lassen und hat
mir gedroht, dass ich die Kinder nicht mehr wiedersehe. Ich hasse dich.“
    Damit hatte er einfach aufgelegt
und sie hatte den Hörer angestarrt, unfähig zu begreifen, was da eben passiert
war. Er hatte ihr überhaupt nicht zuhören wollen. Es war ihm nur darum gegangen,
seinen Frust abzulassen, egal, was sie dazu zu sagen hatte. Wie kam er darauf,
dass sie seiner Frau von ihnen erzählt hatte? Welchen Sinn hätte das haben
sollen? Was konnte sie dabei gewinnen?
    „Der Mann am Telefon vorhin“,
unterbrach Judith schließlich das Schweigen. Und Almut konnte sehen, dass es
sie einige Überwindung kostete, es anzusprechen. „Das war doch kein Kollege,
oder?“
    Almut legte das Besteck beiseite und
schob den Teller von sich. „Ich mag nicht mehr.“
    „Mama, bevor du jetzt irgendetwas
sagst, lass mich erst mal, okay?“
    Sie sah ihre Tochter an und ihre
Ernsthaftigkeit ließ ihr Herz schwer werden. Mein Gott, wie lange hatte sie
versäumt, ihren Töchtern die Mutter zu sein, die sie verdienten? Warum merkte
sie erst jetzt, da es für Sina zu spät war, was ihr und ihnen entgangen war?
    „Okay“, sagte sie nur mit brüchiger
Stimme.
    „Ich weiß, dass du bestimmt schon
mal einen Freund hattest, seitdem du von Papa geschieden bist.“ Sie wich
verlegen ihrem Blick aus. „Ja, ich hab da mal ein Telefonat mitbekommen. Aber
das ist ja auch egal. Ich weiß, dass du uns nie etwas gesagt hast, weil du uns
schützen wolltest, und das ist auch in Ordnung so. Aber ich denke, ich bin alt
genug. Du musst mir nichts mehr vormachen. Und vor allem jetzt nicht mehr.“
    Almut seufzte. Ihre Tochter hatte
Recht. „Es stimmt. Pierre ist kein Kollege. Er ist...nun sagen wir, er ist ein
Freund.“
    „Und? Magst du ihn?“
    Er fickt wie ein Weltmeister. „Ob ich ihn mag? Ja. Aber es ist nichts Ernstes.“ Sie seufzte. „Und jetzt ist
es ohnehin vorbei.“
    „Hat er es vorhin am Telefon
beendet?“
    Sie winkte ab. „Ist nicht mehr
wichtig. Gar nichts ist wichtig.“ Sie merkte, wie sich ihre Augen wieder mit
Tränen füllten. Soviel geweint wie in den vergangenen Tagen hatte sie in den
letzten zwanzig Jahren zusammen nicht.
    Judith stand auf und kam auf sie
zu. „Komm Mama.“ Sie setzte sich auf die Lehne neben sie und legte den Arm um
sie. „Es gibt immer noch uns beide.“
    Das stimmte. Sie erwiderte die
Umarmung und beide ließen sie ihren Tränen freien Lauf. Nach ein paar Minuten
lösten sie sich voneinander. Sie tätschelte die Hand ihrer Tochter.
    „Es tut gut, mal alles
rauszulassen. Ich bin froh, dass du da bist. Ich weiß nicht, wie ich das ohne
dich durchstehen würde.“
    „Ist schon gut.“ Judith erhob sich
und nahm die Teller mit. „Dann werde ich das hier mal entsorgen.“ Sie ging in
die Küche und Almut folgte ihr.
    „Meinst du, sie haben aus Bent
schon etwas rausgekriegt?“
    Judith öffnete den Schrank unter
der Spüle, an dessen Innenseite der Abfalleimer befestigt war, und schüttete
die beiden angegessenen Pizzastücke hinein.
    „Keine Ahnung. Haben sie nicht
gesagt, sie melden sich bei dir, falls sie wissen, wer...“
    Sie stockte, weil sie es scheinbar
nicht aussprechen konnte.

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