Die Mädchen (German Edition)
Druck auf einmal weg.
Es hat mich befreit.“
Instinktiv spürte sie wohl, dass er
sie jetzt nicht so nah bei sich haben konnte. Jedenfalls erhob sie sich und
schaffte so wieder Distanz zwischen ihnen.
„Na super!“ sagte er bitter.
„Schön, dass du so befreit warst, dass du mit Holger gleich drei Kinder
bekommen konntest.“
Sie zuckte zurück und ließ sich
wieder aufs Sofa fallen. „Das ist nicht fair.“
„Was ist schon fair im Leben? Du
hast mein Kind verloren, aber mit deinem Mann konntest du drei Stück kriegen.
Wenn Johanna dieses Kind verliert, gibt es vielleicht keine zweite Chance.“ „So
darfst du gar nicht denken, Roman. Deiner Frau und deinem Baby geht es gut.“
Dasselbe hatte er auch vor dem
letzten Wochenende gedacht. Und so konnte man sich täuschen. Es gab keine
absolute Sicherheit, keine Garantie.
„Du hast mich vorhin gefragt, woran
ich mich erinnere. Ich weiß, dass ich gelitten habe wie ein Hund. Du hattest
das Kind verloren, mein Kind. Und dann lässt du mich fallen und rennst mit
meinem besten Kumpel davon.“
Sie verschränkte die Arme vor der
Brust. „Aber so ist es nicht gewesen. Hör mal, Roman. Als die Ärztin mir mitteilte, dass ich schwanger
war, war ich schon ein paar Wochen lang am Überlegen, wie ich es dir
sagen soll, dass ich unsere Beziehung für beendet hielt. Ich hab nur einfach
nicht den richtigen Moment gefunden. Und als ich dir dann von der
Schwangerschaft erzählen musste, warst du so begeistert, dass ich es einfach
nicht übers Herz gebracht habe, dir zu sagen, dass es aus ist. Ich wollte dir
nicht wehtun, verstehst du?“
Nein, er verstand es nicht. Er
würde nie verstehen, warum die Menschen nicht ehrlich zueinander sein konnten
und immer irgendwelche Sachen vorschoben, um unangenehmen Dingen aus dem Weg zu
gehen. Da hatte er immer gedacht, sie hatte es nicht ertragen, mit ihm zusammen
zu sein, nachdem sie sein Kind verloren hatte, weil sie durch ihn ständig an
das traumatische Erlebnis erinnert wurde. Dabei war die Fehlgeburt in Wahrheit
ein Glück für sie, weil sie so endlich von ihm loskommen konnte. Mein Gott, er
hatte jahrelang Zeit verschwendet, gegen Holger zu kämpfen, ihm beruflich zu
schaden, weil er gedacht hatte, dass er sie auseinandergebracht hatte, dabei
war sie es, die sein Hass hätte treffen müssen.
„Und du meinst, das ist dir
gelungen? Mir nicht wehzutun?“
Sie bedachte ihn mit einem
traurigen Blick. „Nein. Ich weiß genau, dass ich dich verletzt habe. Ich hätte
dir früher sagen müssen, dass ich dich nicht mehr liebte. Und ich hätte dir
nach der Fehlgeburt die Wahrheit sagen müssen. Aber ich war zu feige.“
„Und warum tust du es jetzt? Du
tauchst hier auf und erzählst mir all diese Sachen. Glaubst du nicht, dass es
mir schon schlecht genug geht?“
„Doch. Und ich bin nicht hier, um
dich zu verletzen, ehrlich nicht. Aber ich hab dich gesehen, im Krankenhaus.
Und ich hab mit deiner Frau gesprochen und da ist mir ein Licht aufgegangen. Du
hast Angst, dass sich alles wiederholt. Dass du dein Kind und deine Frau
verlierst. Ist es nicht so?“
„Ja.“ Mehr brachte er nicht heraus.
„Siehst du? Ich musste einfach
herkommen, um dir zu erklären, was damals wirklich passiert ist. Selbst wenn,
und die Wahrscheinlichkeit geht gegen Null, selbst wenn Johanna das Kind wirklich
verlieren sollte, wirst du sie bestimmt nicht verlieren.“
„Das hatte ich bei dir auch nicht
gedacht.“
Sie nickte. „Ich weiß. Aber da gibt
es den einen entscheidenden Unterschied. Deine Frau liebt dich.“
Almut Keller saß ihrer Tochter
schweigend beim Abendbrot gegenüber, eigentlich eher einem Nachtmahl, wenn man
mal auf die Uhr sah. Sie hatten nichts eingekauft und deshalb hatte Judith
kurzerhand zwei Pizzas beim Pizzaservice bestellt, doch scheinbar hatte sie
ebenso wenig Appetit wie sie selbst. Lustlos schnippelte sie an ihrer Pizza
Hawaii herum und Judith hatte auch kaum die Hälfte ihrer quattro formaggi
geschafft. Sie wusste, dass Judith darauf brannte, von ihrem Telefonat am
Nachmittag zu erfahren, aber danach gefragt hatte sie bislang nicht. Sie selbst
konnte nicht fassen, was Pierre da am Telefon zu ihr gesagt hatte. Er hatte sie
ja nicht einmal richtig zu Wort kommen lassen.
„Wo warst du?“ hatte er sie
angebrüllt.
„Was?“
„Ich habe auf dich gewartet. Eine
Stunde lang. Wie ein Idiot hab ich da rumgesessen und wer ist nicht
aufgetaucht? Du.“
Gott, ihre Verabredung. Die hatte
sie vollkommen
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