Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mädchen (German Edition)

Die Mädchen (German Edition)

Titel: Die Mädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Döhring
Vom Netzwerk:
bescheinigte, für ein Kind sorgen zu können.
    Natürlich war sie ihrer Schwester
dankbar, dass sie verhindert hatte, dass sie in ein Heim abgeschoben worden
war, aber als Kind und vor allem als Teenager konnte sie diese Dankbarkeit
nicht immer zeigen. Besonders schwierig wurde es, als Marius in Almuts Leben
trat und kurz darauf Judith geboren wurde. Plötzlich gab es da ein kleines
Wesen, das viel mehr Aufmerksamkeit benötigte als die knapp elfjährige
Schwester und Almut hatte kaum noch Zeit für sie. Sie hatte sich vernachlässigt
gefühlt, war sich als Außenseiterin neben der kleinen Familie vorgekommen, was
sich durch Sinas Geburt dann noch verstärkt hatte, und war mit der Zeit
ziemlich abgerutscht. Es hatte sich schleichend entwickelt, sodass Almut
zunächst gar nicht mitbekommen hatte, was da geschah. Sie hatte mit ihren
beiden Töchtern und ihrem Studium viel zu viel zu tun, als dass sie Augen und
Ohren für etwas anderes gehabt hätte. Und Birthe war eine Meisterin der Masken
gewesen, kam nie zu spät nach Hause, obwohl sie natürlich Mittel und Wege fand,
das Haus heimlich wieder zu verlassen, versäumte nie die gemeinsamen Mahlzeiten
und flutschte in der Schule immer gerade so durch, ohne dass auffiel, dass sie
die eine oder andere Stunde schwänzte.
    Erst als sie sechzehn war, in der
letzten Klasse der Realschule, flog sie zum ersten Mal auf, weil das
Halbjahreszeugnis so schlecht war, dass der Abschluss ausgeschlossen erschien.
Die blöde Zoe hatte Almut schon häufiger gewarnt, wie sie jetzt erfuhr, die
hatte ihre Augen und Ohren ja immer überall, aber ihre Schwester hatte davon
nichts hören wollen. Weniger, weil sie ihrer Schwester vertraute, als weil sie
keine Zeit fand, sich damit auseinander zu setzen. Es folgten zwei schlimme
Jahre, aber erst nach dem Ende ihrer ersten Beziehung war sie aufgewacht und
hatte mit Almuts Hilfe ihr Leben wieder in den Griff bekommen.
    Dass sie damit allerdings zu einer
Art Spielball im Leben ihrer Schwester verkommen war, den die so platzieren
konnte, wie es ihr gerade passte, war ihr erst seit kurzem klar. Es war Ole,
der ihr immer wieder den Spiegel vorhielt, weil er sich seinerseits
vernachlässigt fühlte. Er fand, sie hängte sich viel zu sehr an das Leben ihrer
Schwester, als ihr eigenes zu leben und damit lag er ziemlich richtig. Vor
allem seit ihre Frauenärztin ihr mit trauriger Miene mitgeteilt hatte, sie könnte
niemals Kinder bekommen, hatte sie ihre Aufgabe, sich um Judith und Sina zu
kümmern, noch ernster genommen. Je mehr sie eingespannt war, umso weniger
musste sie darüber nachdenken, was die Diagnose für sie bedeutete.
    Aber das war nicht die einzige
Folge. Seit sie von ihrer Unfruchtbarkeit wusste, war ihre Libido wie
weggeblasen und sie konnte nichts dagegen tun. Wenn Ole auch nur versuchte,
zärtlich zu ihr zu sein, bekam sie eine Gänsehaut. Sie verstand die Welt nicht
mehr. Sie liebte ihn mit Haut und Haaren und war immer verrückt nach ihm
gewesen, aber jetzt ließ sie allein der Gedanke an Sex mit ihm innerlich
verkrampfen. Auch wenn sie es sich nicht gern eingestand, aber war es da ein
Wunder, wenn er sich nach anderen Frauen umsah? Konnte sie ihm überhaupt einen
Vorwurf machen, wenn er sich seine Befriedigung woanders holte?
    Sie war schockiert gewesen, als sie
ihn mit der Tochter der Nachbarn im Clinch im eigenen Ehebett entdeckte, weil
sie nie im Leben mit so etwas gerechnet hatte. Sie war bislang davon ausgegangen,
dass Ole sie genauso bedingungslos liebte wie sie ihn und bei dem sich ihr bietenden
Anblick brach für sie eine Welt zusammen. Nach der ersten Schrecksekunde war
sie mit den Fäusten auf beide los und nur mit Mühe hatte Ole sie beruhigen
können, während das Mädchen wie eine Irre ihre Sachen gegriffen und das Weite
gesucht hatte.
    „Kann ich dich jetzt loslassen?“
hatte Ole nach ein paar Minuten gefragt.
    Sie konnte nicht sprechen, ihn nicht
einmal ansehen, wie er über ihr kniete, ihre Arme auf das Bett gedrückt. Ihr
Herz raste immer noch und sie hatte Probleme, ihren Atem ruhig zu bekommen.
Vorsichtig hatte Ole schließlich von ihr abgelassen. Sie war eine Weile liegen
geblieben, dann hatte sie sich aufgerichtet und ihm eine schallende Ohrfeige
verpasst. Er hatte sie traurig angesehen und langsam genickt.
    „In Ordnung. Das hab ich wohl
verdient.“
    Das hatte er in der Tat. Ihre Augen
füllten sich mit Tränen. „Warum tust du mir das an?“
    Er war vom Bett aufgestanden und
schlüpfte in seine Jeans. „Es

Weitere Kostenlose Bücher