Die Mädchen (German Edition)
Stimme klang nasal, so als ob er erkältet
war, aber dafür gab es sonst keinerlei Anzeichen. Funke vermutete, dass er sich
diesen Tonfall absichtlich angeeignet hatte, um besonders elitär zu wirken.
Leider fehlgeschlagen. Herrmann war groß, an die einsneunzig, schlank und
vielleicht Mitte Fünfzig. Sein Anzug entsprach in etwa dem seines Klienten,
unauffällig aber teuer. Sein kurzes, dunkles Haar war grau meliert und vorne
reichlich dünn. Auf halber Höhe hatte er eine schmale Lesebrille sitzen, über
die er mit schmalen Augen hinwegsah.
Funke zeigte auf den Stuhl vor
seinem Schreibtisch, von dem Roman eben aufgesprungen war. „Setzen Sie sich
bitte, Herr Waldow.“
Er folgte seiner Bitte, während Dr.
Herrmann etwas versetzt hinter ihm stehen blieb. Behrend rückte mit seinem
Stuhl etwas von Waldow ab, um ihm mehr Raum zu geben. Funke musterte den
Verdächtigen. Er wirkte müde, aber nicht unruhig. Seine Krawatte hatte er
mittlerweile abgenommen, sein Sakko ausgezogen und die beiden obersten Knöpfe
seines Hemdes trug er offen. Die Ärmel seines hellblauen Hemds hatte er
hochgekrempelt.
„Nun, Herr Waldow? Was haben Sie
uns zu sagen?“ fragte Funke, nachdem er das Aufnahmegerät angeschaltet und die
beteiligten Personen genannt hatte. Die Befragung würde hauptsächlich über ihn
als den leitenden Ermittler laufen, damit die Aufnahme später nicht zu
unübersichtlich wurde.
„Könnte ich vielleicht ein Glas
Wasser bekommen?“
Funke gab Roman ein Zeichen, der
sofort das Büro verließ, um der Bitte nachzukommen.
„Wie ich Ihnen schon gesagt habe,
hab ich versucht, mich an Almut Keller zu rächen.“
„Also stimmt es, dass Sie Frau
Keller angerufen und ihr gedroht haben.“
Er nickte langsam.
Funke zeigte auf den Rekorder. „Sie
müssen die Fragen laut beantworten.“
„Ja.“
„Was ja?“
„Ja, ich habe Frau Keller angerufen
und ihr gedroht.“
„Sie haben ihr ihre Tochter
beschrieben. Woher kennen Sie Judith Keller?“
„Ich habe das Haus beobachtet und
somit beide Töchter gesehen.“
Roman kam mit einer Flasche Evian
und ein paar Gläsern zurück. Er goss eines davon voll und reichte es Waldow,
der gierig daraus trank.
„Was genau haben Sie am
Mittwochnachmittag, am Tag des Mordes an Sina Keller, vor dem Haus der Kellers
gemacht?“
Er drehte sich nach seinem Anwalt
um, der ihm aufmunternd zunickte. „Sagen Sie einfach, was Sie mir gesagt
haben.“
Funkes Skepsis wuchs. Waldow hatte
Herrmann sicher nichts von einem Mord erzählt, sonst hätte seine Reaktion
anders ausgesehen.
Waldow stellte das halbleere Glas
vor sich auf den Tisch. „Ich war dort, weil ich mit ihrer Tochter verabredet
war.“
„Was?“ Funke konnte sich nicht
beherrschen, aber seinen Kollegen ging es nicht anders, denn die Frage war auch
Behrend und Siewers rausgerutscht. Waldow war Sina Kellers Verabredung gewesen?
Seinetwegen hatte sie ihre Familie belogen?
„Sie waren mit Sina Keller
verabredet? Wieso wollten Sie sich mit einem vierzehnjährigen Mädchen treffen?“
„Sie haben mich missverstanden. Mit
Sina Keller hab ich niemals ein Wort gewechselt. Ich war mit Judith Keller
verabredet.“
Funke wäre fast von seinem Stuhl
gekippt. „Mit Judith?“
„Ja.“
„Wozu? Was wollten Sie mit Judith
tun?“
Wieder der Blick hinter sich.
„Sagen Sie es ruhig“, sagte Herrmann.
„Wir wollten zusammen sein.“
Funke kniff die Augen zusammen.
„Zusammen sein?“
Waldow rückte unruhig auf seinem
Stuhl herum. „Hören Sie, ich bin nicht stolz darauf, aber ich hab mir nichts
zuschulden kommen lassen, ehrlich nicht.“
„Sie wissen schon, dass Sex mit
Minderjährigen strafbar ist.“
„Mein Mandant hat keinen Sex mit
einer Minderjährigen gehabt.“ Herrmann mischte sich bestimmt in die Befragung
ein.
Funke blickte nicht mehr durch.
„Dann erklären Sie mal.“
„Ich hab überlegt, wie ich es Almut
heimzahlen kann, dass sie mich so dermaßen abserviert hat. Sie müssen das
verstehen. Vor zwei Jahren hatten wir eine wunderschöne gemeinsame Zeit, dachte
ich zumindest, und von einem Tag auf den anderen wollte sie plötzlich nicht
mehr. Sie hat mir nicht einmal einen Grund genannt.“
„Das war sicher hart für Sie, aber
können wir vielleicht zum Jetzt kommen?“
„Ich erzähle das ja nur, damit Sie
verstehen, was in mir vorgegangen ist.“
Funke winkte ab. „Weiter bitte.“ Er
glaubte ohnehin nicht daran, Waldow verstehen zu können. Einer Frau
nachzustellen, ihr zu drohen, nachdem
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