Die Mädchen (German Edition)
Minuten. Wir sind ein
paar Mal um den Block gefahren, damit sie nicht mit mir gesehen wird und ein
paar Straßen weiter hab ich sie rausgelassen. Sie ist dann erst noch zu einer
Freundin und dann zu Bent.“
„Und Sie sind zurück in die
Elswigstraße und haben die ganze Zeit vor dem Haus gewartet?“
„Nicht direkt davor, aber in der
Straße.“
„Bis Frau Eggers herausgekommen
ist.“
„Ja. Da bin ich schnell abgehauen
und hab eine Straße weiter geparkt.“
„Sie waren nicht im Haus der
Kellers?“
Er sah ihn fest an. „Nein,
niemals.“
Und so gern er ihn festgenagelt
hätte, auch dafür, dass er sich an eine Minderjährige herangemacht hatte,
musste er vor sich einräumen, dass er ihm glaubte.
„Wann haben Sie sich mit Judith
getroffen?“
„So gegen halb vier. Sie ließ sich
von Bent in meiner Nähe absetzen und ich hab sie dann aufgelesen.“
„Wie lange waren Sie zusammen?“
„Wir waren etwas essen, in einem
Lokal an der Ostsee in Niendorf. Falls Sie mir nicht glaube
n
, ich hab noch die
Rechnung. Danach hab ich sie dann zurückgebracht. So gegen halb sieben etwa.“
Das stimmte mit den Angaben von
Masio überein. Und so sehr es ihm auch missfiel, ließ das sowohl ihn als auch
Judith vom Haken.
„Ich frage Sie noch einmal. Haben
Sie etwas mit Sina Keller zu schaffen gehabt?“
„Nein. Die hab ich an dem Tag gar
nicht mehr gesehen, nachdem sie von der Schule nach Hause gekommen war.“
Birthe Retzlaff schloss die Tür
hinter ihrer Nichte und lehnte sich von innen dagegen. Sie war froh, dass sie
jetzt allein war, um in Ruhe über alles nachdenken zu können. Die Sache mit dem
Tagebuch hatte sie fast umgehauen. Sina war ihr nie wie der Typ erschienen, der
sich mit so etwas befassen würde. So konnte man sich täuschen. Na, sie hatte
sich scheinbar ohnehin in vielen Dingen getäuscht. Wenn sie nur früher mal auf
den Gedanken gekommen wäre, sich in Sinas Zimmer umzusehen, hätte sie
vielleicht einiges verhindern können.
Ein bisschen nagte das schlechte
Gewissen an ihr, dass sie Judith angelogen hatte. Sie wusste ja schon, dass
Sina im Internet posiert hatte und hatte ihr gegenüber so getan, als wäre es
eine große Überraschung. Aber sie hatte keine Wahl gehabt, solange sie nicht
wusste, wie Ole an die Adresse der Website gekommen war. Sie wollte ihn nicht
unnötigen Fragen aussetzen, wenn er auch mit Sina gar nichts weiter zu tun
gehabt hatte, wie das Tagebuch wohl bewies. Außerdem hätte ihre Schwester
sicher nicht verstanden, warum sie ihr diese Information vorenthalten hatte.
Auch nicht verwunderlich. Wann hatte Almut schon jemals etwas nachvollziehen
können, was sie betraf? Für Almut war es immer nur um sie selbst und ihre
Belange gegangen, andere interessierten sie nicht, solange sie nicht zu einem
Hindernis für sie wurden.
Es hatte lange gedauert, bis sie
dahinter gekommen war, denn wie viele, die sich in einer komplizierten
Familienstruktur befanden, war auch sie unfähig, diese mal von außen zu
überblicken. Erst durch Ole wurde ihr allmählich bewusst, was sie für das
Wohlergehen ihrer Schwester alles opferte. Früher hatte sie einfach akzeptiert,
dass ihre große Schwester der Boss war und sie sich unterzuordnen hatte. Sie
war diejenige, die Almut bei ihrer Karriere im Weg gestanden hatte, also war es
nur recht und billig, dass sie sich um ihre Kinder kümmerte, damit ihre
Schwester im Berufsleben vorankam. Ob sie selbst es zu etwas bringen konnte,
war nebensächlich.
Dabei konnte sie Almut gar keinen
richtigen Vorwurf machen, denn sie hatte in der jüngeren Vergangenheit niemals
gegen sie aufbegehrt. Wie sollte sie da merken, dass die Waage so eindeutig in
ihre Richtung ausschlug? Sicher, mit ein wenig Fingerspitzengefühl hätte Almut
das selbst erkennen müssen, aber das ging ihr nun einmal ab. Vielleicht lag es
daran, dass sie eben so viel älter war. Sie war eigentlich wie ein Einzelkind
aufgewachsen, hatte ihre Eltern ganz für sich gehabt und niemals lernen müssen,
mit einem Geschwisterkind zu teilen.
Sie dagegen hatte ihre Eltern kaum
richtig kennen lernen können, weil die beiden bei einem Verkehrsunfall ums
Leben gekommen waren, als sie vier Jahre alt war. Seitdem hatte Almut sich um
sie gekümmert, die zu dem Zeitpunkt schon über zwanzig war und vom Gericht als
Vormund bestellt wurde. Das war zu damaliger Zeit nicht selbstverständlich,
aber Almut hatte Glück mit einer Beraterin vom Jugendamt, die ihr wohlgesinnt
war und ihr die nötige Reife
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