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Die Mädchen (German Edition)

Die Mädchen (German Edition)

Titel: Die Mädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Döhring
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betäuben. Hätte Frau Tarnat sie und Jackie nicht beim Saufen
erwischt, wäre es vielleicht anders ausgegangen. Aber die Worte der Frau, als
sie am nächsten Tag nach der Schule auf sie wartete, hatten ihre Wirkung nicht
verfehlt. Sie hatte es nicht vergessen.
    „Hallo Merle“, hatte sie
angefangen. „Auf dich hab ich gewartet.“
    Sie war misstrauisch ein paar Meter
von ihr entfernt stehen geblieben und hatte sich nach Jackie umgesehen.
    „Auf mich?“
    „Ja.“ Frau Tarnat war auf sie
zugegangen und hatte sie an beiden Schultern gegriffen. „Ich hab gestern mit
Jackie gesprochen, nachdem ich euch an der Bushaltestelle gesehen hatte. Ich
hab ihr den Kontakt mit dir verboten und ich möchte, dass du dich auch daran
hältst. Triff dich nicht mehr mit ihr. Haben wir uns verstanden?“
    War das ihr Ernst? Jackie war ihre
älteste Freundin, ihre einzige, um genau zu sein. Das konnte sie doch nicht so
meinen.
    „Aber wieso das denn?“
    Frau Tarnat hatte nur mit den Augen
gerollt. „Ich hab gestern auch mit deiner Mutter gesprochen. Oder sagen wir, ich
hab es versucht, aber die war so blau, dass sie bestimmt gar nicht mehr weiß,
dass ich da war.“
    Merle war bei ihren Worten
zusammengezuckt. Sie hatte es gemerkt. Jackies Mutter wusste Bescheid. Scheiße!
    „Und du scheinst ja auf dem besten
Weg dahin, ebenfalls eine Alkoholikerin zu werden. Wie die Mutter so die
Tochter. Deshalb sauf dir mal schön allein die Hucke voll. Jackie jedenfalls
wird dir dabei keine Gesellschaft mehr leisten.“
    Damit war sie verschwunden und
hatte sie geschockt stehen lassen. So gemein das auch von ihr gewesen war, wie
sie damals fand, hatte sie dennoch irgendwie einen Nerv getroffen. So wie ihre
Mutter wollte sie natürlich nicht enden. Also hatte sie ihren eigenen
Alkoholkonsum reduziert und versucht, andere Wege zu finden, mit der Sucht
ihrer Mutter und der Geheimhaltung umzugehen. Ihre größte Angst war, dass die
Mitschüler etwas davon mitbekamen und nach der Begegnung mit Jackies Mutter
rechnete sie fest damit, dass es am nächsten Tag alle wussten. Aber das war
nicht der Fall, nicht einmal Jackie schien ihre Mutter etwas davon gesagt zu haben.
Sie nahm das als ein Zeichen, niemals wieder einen Mitschüler so dicht an sich
heranzulassen, und wurde fies und aufsässig, um so ihre ganze aufgestaute
Aggression loszuwerden. Als sie merkte, dass sie sich aus unerklärlichen Gründen
zu Rouven Müller hingezogen fühlte, hatte sie Angst, er könnte ihr zu nahe
kommen und hatte ihn deshalb vor allen bloßgestellt. Sie hatte sich in dem
Moment selbst nicht leiden können, aber sie wusste nicht anders mit ihren
Gefühlen umzugehen. Wie hätte sie ihn denn jemals mit nach Hause nehmen können,
noch dazu, wo sich ihre Eltern schon so lange kannten? Mit der Tochter einer
Säuferin wollte er sicher ohnehin nichts zu tun haben und dann hätte er es
seinen Eltern erzählt und in Windeseile hätten nicht nur alle Mitschüler
sondern auch ihr Vater Bescheid gewusst. Nein, dann lieber Distanz schaffen.
    Die Ungewissheit, ob sie ihre
Mutter benommen in irgendeiner Ecke aufsammeln musste, wenn sie von der Schule
kam, hatte sie zu Beginn ziemlich stark belastet. Meistens war ihre Sorge allerdings
unbegründet. Sie sah zwar oft schlampig aus und sprach mit schwerer Zunge, aber
in der Regel war sie zumindest ansprechbar. Es gab natürlich auch Ausnahmen,
Tage, an denen es ihre Mutter übertrieben hatte und sie sie mit Kaffee und
kaltem Wasser wieder unter die Lebenden bringen musste, aber die waren selten
und sie hatte schnell gelernt, darauf zu reagieren.
    Sie hatte sich über sich selbst
gewundert, wie gut sie sich an die neue Situation angepasst hatte, aber nach
dem ersten Schock hatte sie ziemlich bald auch die Vorzüge für sich entdeckt.
Hatte ihre Mutter genug zu saufen im Haus, konnte sie tun und lassen, was sie
wollte. Warum sollte sie das nicht zu ihrem Vorteil nutzen? Dass ihr Vater von
alldem nichts mitbekam, grenzte dennoch irgendwie an ein Wunder. Aber
wahrscheinlich hatte der sich schon so weit von ihrer Mutter entfernt, dass ihm
das auch egal war. Das hatte sie zumindest angenommen, aber jetzt belehrte er
sie eines Besseren und sie war sich nicht sicher, ob ihr das gefiel, denn es
schränkte ihre Freiheiten doch erheblich ein. Der Hausarrest am Wochenende war
sicher erst der Anfang.
    „Ich will heute Abend keine
Ausreden mehr hören“, sagte er, als sie vor der Schule ankamen.
    „Ich weiß.“ Sie schnallte sich ab
und wollte

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