Die Mädchen (German Edition)
gesehen hatte, weil sie wohl
krank war. Die nächsten beiden Tage hatte sie ihn vertrösten können, weil Frau
Sonntag nicht in ihrer Klasse unterrichtete und sie keine Gelegenheit gefunden
hatte, sie irgendwo abzufangen. Doch all das konnte sie heute vergessen, denn
bereits in der ersten Stunde stand sie auf dem Plan, und ihr Vater wusste das,
hatte er doch gestern von ihr den Stundenplan verlangt. Sie hatte ihm
versichert, dass sie seiner Forderung nachkommen würde, aber es stand außer
Frage, dass sie eben genau das nicht tun würde. Allerdings hatte sie noch keine
zündende Idee, wie sie sich aus der Affäre ziehen sollte.
Über den Besuch der Polizei vor ein
paar Tagen und ihren Ausbruch ihm gegenüber hatte ihr Vater kein Wort mehr
verloren, obwohl sie wusste, dass er darüber immer noch wütend war. Aber was
hatte er erwartet? Dass sie sich freute, dass die Website geschlossen war und
es kein Geld mehr gab? Hätten sich ihre Eltern nicht eingemischt, wäre alles in
bester Ordnung gewesen. Wenn ihr Vater ihr gegenüber nicht so komische
Andeutungen gemacht hätte, wäre sie ja gar nicht erst auf die Idee gekommen,
die Nacht aushäusig zu verbringen.
Dabei hatte sie sich alles so schön
ausgemalt. Sie wollte für eine Nacht untertauchen und wenn ihr Vater dann von
seiner Geschäftsreise zurückkam, hatte er die Sache vielleicht wieder vergessen,
weil er Wichtigeres um die Ohren hatte. Und falls nicht, hätte sie zumindest
genug Zeit gehabt, sich Ausreden zu überlegen. Sie hatte nicht im Entferntesten
damit gerechnet, dass ihre Eltern gleich die Bullen riefen, sonst hätte sie
ihnen sicher eine Nachricht hinterlassen, dass sie bei einer Freundin war und
sie sich keine Sorgen machen mussten.
Wieso hatte ihr Vater plötzlich
wieder die Familie für sich entdeckt? Woher kam diese plötzliche Besorgnis?
Wollte er wirklich an der Beziehung mit ihrer Mutter arbeiten? Es machte fast
den Eindruck und es erstaunte sie, denn sie hatte eigentlich mit einer baldigen
Trennung ihrer Eltern gerechnet. Hatte ihn seine Geliebte in den Wind
geschossen? Oder hatte er sich einfach mal durchgerechnet, was ihn eine
Scheidung kosten würde und machte deshalb gute Miene zum bösen Spiel? Sie war
davon überzeugt, dass es da eine andere Frau gab, so oft wie er auf Geschäftsreise
war. Dass bei ihren Eltern im Bett tote Hose war, hatte sie längst gerafft,
denn immerhin bewohnte sie das anliegende Zimmer und wusste, was nebenan vor
sich ging oder eben nicht passierte. Und wenn es für ihn zu Hause nichts zu
holen gab, musste er sich ja wohl irgendwo anders austoben. Männer hielten es
ohne Sex doch keine Woche aus, soviel hatte sie in ihrem bisherigen Leben schon
herausgefunden. Und außerdem war ihre Mutter ja nicht umsonst zu einer Säuferin
verkommen.
Dabei war ihr bis vor etwa einem
Jahr gar nicht aufgefallen, dass es da ein Problem gab, da ihre Mutter es
anscheinend blendend verstanden hatte, ihre Sucht geheim zu halten. Doch dann
war sie eines Tages früher als erwartet von der Schule nach Hause gekommen und
hatte sie völlig weggetreten auf dem Sofa vorgefunden, eine leere Flasche Wodka
auf dem Fußboden. Da hatte es auf einmal klick gemacht und alle kleinen Beobachtungen,
die für sich genommen keine große Bedeutung hatten, machten Sinn. Geschockt
hatte sie ihre Mutter liegen lassen und war aus dem Haus gerannt, ohne zu
wissen, wohin es sie treiben würde.
Irgendwann hatte sie sich dann vor
Bents Wohnblock wiedergefunden, war zu ihm rauf und hatte sich bei ihm das
erste Mal selbst so richtig betrunken. Bent hatte nichts dagegen gehabt, im Gegenteil,
er hatte sie noch ermutigt, wahrscheinlich weil ihm der Gedanke gefiel, seinem
verhassten Schwager so eins auswischen zu können. Erzählt hatte sie ihm nichts
von ihrer Entdeckung. Sie mochte ihn und fühlte sich bei ihm wohl, aber hundertprozentig
vertraute sie ihm nicht, denn ihr Vater war nicht umsonst so gegen ihn
eingestellt. Eben weil er den Kontakt zu ihrem Onkel nicht gern sah, suchte sie
immer häufiger seine Gesellschaft und so war es dann schließlich zu diesem
einträglichen Geschäft mit ihm gekommen.
Seit diesem ersten Mal hatte sie
immer ein bisschen Angst, nach Hause zu kommen, weil sie nicht wusste, was sie
dort erwarten würde. Wo würde sie ihre Mutter vorfinden und in welchem Zustand
würde sie sein? Es belastete sie außerdem, dass sie mit niemandem darüber reden
konnte und so hatte sie zunächst versucht, ihre Sorgen selbst mit Feiern und
Alkohol zu
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