Die Mädchen (German Edition)
es
schließlich akzeptiert. Maggie kam damit weit weniger zurecht, aber das musste
sie mit sich selbst ausmachen.
„Ist einfacher, als alles mit der
Hand aufzuschreiben.“
„Außerdem brauchen sie keine Angst
zu haben, dass die Eltern das Tagebuch lesen. Und sie müssen sich keine
Verstecke dafür ausdenken.“
Siewers grinste verlegen. „Meine
Mutter hat damals mal mein Zimmer nach dem Tagebuch durchwühlt, es gefunden und
auch drin gelesen. Sie hatte Angst, dass ich mich mit einem ihrer Meinung nach
kriminellen Typen eingelassen hatte und wollte Gewissheit darüber.“
„Und? Hattest du was mit dem
Kriminellen?“
Siewers warf mit einem Lineal nach
Behrend. „Das geht dich gar nichts an. Jedenfalls bin ich völlig ausgerastet,
als ich dahinter gekommen bin. Wofür ein älterer Bruder nicht alles gut ist.
Hab wochenlang nicht mehr mit ihr geredet.“
Es klopfte an der Tür und Frau
Thaler trat ein. Frau Thaler arbeitete im Geschäftszimmer des K1, der
Mordkommission, und erledigte jeglichen Schriftwechsel.
Sie war
Mitte
fünfzig,
klein, etwas fülliger
,
aber nicht dick
. Ihr
kurzes, blon
de
s Haar
war von grauen Strähnen durchzogen und auf der Nase
trug sie eine modische Brille
.
„Ich hab hier was für Sie“, sagte sie, reichte Funke
ein paar Zettel und war auch schon wieder verschwunden.
Funke warf einen Blick darauf und
pfiff leise durch die Lippen. Da war die Thaler mal wieder fleißig
gewesen.
„Was?“ rief Roman.
Funke sah auf und warf die Zettel
vor sich auf den Tisch. „Erinnerst du dich an den Reporter von heute Morgen und
was er gesagt hat, Glen?“
„Reporter?“ horchte Siewers auf.
Funke ignorierte sie. „Ich hab die
Thaler mal gebeten, im Internet nach Christopher Tuchel zu suchen. Das hier hat
sie gefunden.“
Es war ein Zeitungsbericht, den die
Thaler aus dem Internet gezogen hatte. Alle vier lasen mit großen Augen, was da
stand.
Mädchenmörder
zu zehn Jahren verurteilt
Gestern fällte das Lübecker
Strafgericht das Urteil im Mordprozess gegen den 21jährigen angehenden Bankkaufmann
Christopher T.. Das Urteil lautet zehn Jahre. Damit blieb das Gericht unter der
Forderung der Staatsanwaltschaft, die eine lebenslange Haftstrafe beantragt
hatte, und entschied im Sinne der Verteidigung, dass die Tat unter
Alkoholeinfluss begangen worden war und deshalb nicht das volle Strafmaß
verhängt werden konnte. Christopher T. wird vorgeworfen, die vierzehnjährige
Stella P. vergewaltigt und dann erstochen zu haben. Zeugen hatten die beiden an
dem Tatabend auf einer Feier zusammen gesehen. Danach wurden sie noch von zwei
Passanten auf der Straße erkannt. Noch in derselben Nacht wurde Christopher T.
verhaftet. Bei seiner ersten Vernehmung hatte er die Tat gestanden. Später gab
er an, sich wegen des erhöhten Alkoholkonsums an jenem Abend an nichts erinnern
zu können, zweifellos ein Rat seines Anwalts. Es gab nie einen Zweifel an
Christopher T.s Schuld, zumal auch die Mordwaffe seine Fingerabdrücke aufwies.
Das Urteil wurde mit Buhrufen und Pfiffen aus dem Zuschauerraum quittiert, die
die Strafe für den Mord an einer Minderjährigen für zu gering erachten.
„Kannst du dich daran
erinnern?" fragte Roman.
Funke schüttelte den Kopf. „Nicht
wirklich. Dann lassen wir uns mal die Akten kommen, obwohl das wohl dauern
kann." Er legte das Blatt beiseite und warf einen Blick auf das nächste.
„Ach du Scheiße."
„Was ist?" fragte Behrend.
Funke gab den Blick auf die zweite
Seite für alle frei. Es war wieder ein Zeitungsbericht, aber dieses Mal einer,
der erst etwa drei Wochen alt war und unter einem Bild von einem Mann abgedruckt
war, der augenscheinlich nicht wusste, dass er soeben abgelichtet worden war.
Mädchenmörder wieder auf freiem
Fuß
Was ist ein Menschenleben heutzutage wert? Wie
lange dauert es, bis die Menschen vergessen? Ich sage, es wird viel zu schnell
vergessen. Es ist gerade mal acht Jahre her, dass die vierzehnjährige Stella
vergewaltigt und ermordet wurde. Aber wer erinnert sich heute noch daran? Außer
ihrer Familie wohl niemand. Also schwupps! Lassen wir ihren Vergewaltiger und
Mörder wieder frei. Er war ja auch nur betrunken damals. Wird schon nicht
wieder passieren. Immerhin hat er ja acht Jahre abgesessen. Acht Jahre! Ich
frage Sie, was sind acht Jahre für eine solche Tat? Stella P. wäre heute erst
zweiundzwanzig. Sie hätte das ganze Leben noch vor sich. Stattdessen hat
Christopher T. jetzt die
Weitere Kostenlose Bücher