Die Mädchen (German Edition)

solange, bis das Gegenteil bewiesen war.
    „Aber ihr Verschwinden am selben
Tag ist doch merkwürdig.“
    „Ich sehe da zwei Möglichkeiten“,
sagte Roman. „Die erste: Beide Mädchen wurden vom gleichen Freier mitgenommen
und auch von ihm getötet. Dann werden wir die zweite Leiche auch noch finden.“
    Beruhigend. „Ich hoffe bei Gott,
dass es nicht so ist.“
    Siewers wiegte den Kopf hin und
her. „Ich weiß nicht, Herr Funke. Irgendwie klingt das für mich nicht richtig.
Wenn der Mann beide Mädchen umgebracht hat, warum hat er dann nur eins auf dem
Friedhof abgeladen? Was macht er mit der anderen Leiche? Fährt er damit noch
spazieren?“
    „Vielleicht hält er sie auch
irgendwo gefangen.“
    Siewers warf Behrend einen
vernichtenden Blick zu. „Hör bloß auf. Da krieg ich ne richtige Gänsehaut.“
    Funke ging es ähnlich. Und
irgendwie beschlich ihn das Gefühl, dass sie alle zu viele Horrorfilme gesehen
hatten.
    „Die zweite Möglichkeit“, machte
Roman sich wieder bemerkbar und zog alle Blicke auf sich. „Merle Grothe hat
gesehen, was mit Sina Keller passiert ist und ist abgetaucht.“
    Funke starrte ihn an. „Da könnte
was dran sein.“ Zumindest war das eine Idee, die zum einen Merle am Leben ließ
und zum anderen eine plausible Erklärung für das gleichzeitige Verschwinden
gab.
    „Das würde dann bedeuten, dass es
einen Zeugen für den Mord gibt.“ Behrend verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ein Grund mehr, dass wir Merle so schnell wie möglich finden.“
    „Stopp!“ rief Funke und alle
hielten verdattert inne. „Mir gefällt diese Idee gut. Aber lasst uns bitte
nichts übereilen. Erst mal sollten wir klären, ob es Beweise dafür gibt, dass
die beiden tatsächlich auf den Strich gegangen sind. Also werden wir uns heute
Abend mal auf den Weg machen, um die einschlägigen Straßen abzufahren und die
Bilder herumzuzeigen.“
    „Was anderes. Werden wir ein
Täterprofil erstellen lassen?“
    Funke nickte Siewers zu. „Ich habe
schon mit jemandem vom LKA gesprochen.“
    Das LKA, kurz für Landeskriminalamt,
gehört zur Landespolizei und ist dem Innenministerium des jeweiligen
Bundeslandes untergeordnet. Beamte des LKA führen die sogenannte operative
Fallanalyse durch, was im Volksmund oft als Profiling bezeichnet wird. Dabei
geht es nicht darum, ein psychologisches Täterprofil zu erstellen, wie es einem
oft im Fernsehen vorgegaukelt wird, sondern der Fallanalytiker zieht aufgrund
von Indizien, Spuren am Tatort und Umständen der Tat Rückschlüsse auf das
Verhalten des Täters. Anschließend versucht er, aus dem Verhalten Muster zu
erkennen, die es ihm dann wiederum erlauben, den Täterkreis hinsichtlich
beispielsweise Einzugsgebiet, Geschlecht oder Alter einzugrenzen. In der Regel
wird eine solche Fallanalyse durchgeführt, wenn die Ermittlungen der zuständigen
Behörde abgeschlossen sind und sie zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen ist
und wenn es zwischen Opfer und Täter keine familiäre oder bekanntschaftliche
Beziehung gegeben hat. Oft verläuft eine Fallanalyse aber auch parallel zu den
Ermittlungen vor Ort und dieser Fall passte in diese Kategorie, vor allem weil
es eben dieses zweite Mädchen gab und der Zusammenhang nicht ausgeschlossen
werden konnte.
    „Sobald die Untersuchungen an der
Leiche und am Fundort abgeschlossen sind, gehen die Unterlagen rüber. Ich
meine, wir wissen ja noch nicht einmal, ob es sich um ein Sexualdelikt handelt.
Es kann ja durchaus sein, dass das Mädchen aus einem ganz anderen Grund
ermordet wurde.“
    Siewers nickte. „Wann ist die
Gerichtsmedizin denn fertig, was meinen Sie?“
    „Ein paar Stunden werden wir wohl
noch warten müssen, bis es etwas Neues gibt. Ich schätze, dass Goll heute
Nachmittag mehr weiß.“
    Hauptkommissar Goll oder jemand von
seinem Team vom Erkennungsdienst musste anwesend sein, wenn in der
Gerichtsmedizin ungeklärte Todesfälle untersucht wurden.
    „Und was tun wir in der
Zwischenzeit?“ fragte Behrend.
    „Wir beide fahren in die Schule der
Keller. Vielleicht gibt es da ja eine Freundin, die etwas weiß.“ Er wandte sich
an Roman. „Ihr fahrt in die Schule der Grothe. Sie geht aufs Johanneum und wie
ihr ja wisst, soll das demnächst Helens Schule werden. Maggie und ich gehen
nächste Woche zu einem Informationsabend und ich würde da ungern vorher in
meiner Funktion als Kripobeamter auftauchen. Aber seid vorsichtig mit dem, was
ihr sagt. Wir wollen die Gerüchteküche nicht unnötig anheizen.“
    Er