Die Mädchen (German Edition)
Uhr.“
Funke wusste, dass es nicht viel
genauer ging, auch wenn viele Fernsehsendungen gegen jeden Realismus den
Zeitpunkt immer genau auf eine Stunde begrenzen konnten.
„Meiner persönlichen Einschätzung nach eher gegen
zwei
als gegen
fünf
, aber das werden Sie
nicht
im Bericht finden.“
Funke
Er beendete das
Gespräch und blickte in die Runde.
„Die Theorie mit der Prostitution
und dem Freier können wir wohl abhaken.“ Er erzählte von Brauns Ergebnissen.
„Also keinen Besuch auf dem
Babystrich?“ fragte Behrend.
„Doch. Wir haben ja noch Merle. Das
können die Kollegen übernehmen.“
„Gibt es doch keinen Zusammenhang zu
ihrem Verschwinden?“ fragte Siewers.
„Fragen Sie mich was Leichteres.“
Funke stützte seinen Ellbogen auf und legte das Kinn in seine Hand. „Hm, Sina
Keller ist schon am Nachmittag ermordet worden. Das heißt, wir müssen uns auf
den Zeitpunkt konzentrieren, ab dem sie nicht mehr gesehen worden ist. Die
Kollegen durchkämmen die Nachbarschaft ohnehin schon nach Hinweisen. Vielleicht
hat ja doch einer der Nachbarn etwas bemerkt.“
„Aber darauf können wir ja jetzt
nicht warten“, sagte Roman. „Was schlägst du vor?“
„Ihr kümmert euch um Merle und
fahrt in die Schule. Außerdem könnt ihr euch den Tuchel vorknöpfen. Einfach mal
sehen, was das für ein Typ ist.“
„Aber wenn Sina nicht vergewaltigt
worden ist, klingt das nicht nach ihm.“
„Stimmt, aber wer weiß, vielleicht
ist er gestört worden. Außerdem wissen wir noch nicht, wo Merle ist.“
„Okay. Und ihr?“
„Wir fahren in Sinas Schule. Mal
sehen, ob wir da was herausfinden. Und dann besuchen wir Birthe und ihren
Mann.“
Timo Hansen hatte sich die Woche
krank schreiben lassen. Er hatte zunächst gezögert, aber sein Arzt hatte nicht
lange gefackelt und ihm sein schlechtes Gewissen genommen. Und es war richtig
so, denn immerhin war sein Vater am vergangenen Wochenende gestorben, da musste
er doch für seine Mutter da sein. Und das war er, obwohl ihm davor gegraut
hatte, die ganzen Formalien mit ihr gemeinsam durchzugehen. Ihr Verhältnis
hatte sich verändert seit dem Tag, als sein Vater den Schlaganfall erlitten
hatte. Es war, als ob seine Mutter seitdem eine Mauer zwischen ihnen aufgebaut
hatte.
Schon bei ihrem ersten Treffen etwa
drei Tage danach im Krankenhaus war ihm klar, dass es schwer werden würde mit
ihr. Da er ihr aus dem Weg gegangen war, wusste sie genau, dass er den Wunsch
seines Vaters akzeptieren und auf ihre Fragen nicht reagieren würde. Anstatt
ihn also zu löchern, hatte sie ihn gar nicht erst darauf angesprochen. Nein,
sie ging wesentlich subtiler vor, indem sie sich distanziert gab und
gleichzeitig so tat, als ob es diesen Vorfall nie gegeben hatte. Er litt unter
der Situation, war seine Mutter doch bislang immer für ihn da gewesen, aber es
lag nicht in seiner Macht, es zu ändern. Die letzten Tage, die sie gemeinsam
die Trauerfeier vorbereitet und Papierkram geregelt hatten, waren ihm verdammt
schwer gefallen. Er konnte nur darauf vertrauen, dass sie ihn irgendwann
verstehen würde.
Im Stillen hatte er seinen Vater
verflucht, ihn in so eine Lage zu bringen. Er hatte gehofft, dass es doch noch
eine Aussprache mit seiner Mutter geben würde, aber dazu war es leider nicht
mehr gekommen. Sein Vater war noch in jener Nacht in ein Koma gefallen, aus dem
er nicht wieder aufgewacht war. Seine Mutter hatte jeden Tag stundenlang an
seinem Bett gesessen, in der Hoffnung, dass alles wieder gut werden würde, auch
wenn die Ärzte das Gegenteil behauptet hatten.
Nun war es also vorbei und seine
Mutter hatte sich revanchiert, in dem sie ohne ihn von seinem Vater Abschied
genommen hatte und ihn erst am Sonntagmorgen gegen sechs Uhr über seinen Tod
informiert hatte. Sie hatte es damit begründet, ihn und seine neue Freundin,
wie sie Luisa bezeichnete, nicht ihrer Nachtruhe berauben zu wollen, aber das
war natürlich Blödsinn. Luisa war ihr scheißegal. Sie hatte sie zweimal gesehen
und dass sie in einem solchen Moment auch nur einen Gedanken an sie
verschwendete, konnte sie sonst wem erzählen.
„Willst du noch Kaffee?“ riss Luisa
ihn aus seinen Gedanken.
Sie hatte an diesem Morgen noch
genug Zeit, mit ihm zu frühstücken, weil sie ihre Gleitzeit bis zehn Uhr
ausnutzen konnte. Ursprünglich hatte sie am Montag vorgehabt, sich ebenfalls
krank zu melden, um ihm beizustehen, aber das hatte er gerade noch abwiegeln
können. Sie konnte ihm eh nicht helfen,
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