Die Mädchenakademie
»Du warst für mich da, als ich neu zu den Lolitas gestoßen bin. Jetzt bin ich für dich da, falls du möchtest.«
Erstaunt öffnete Charlie ihren Mund, doch sie sagte nichts, sondern schmiegte sich in Emmas Arme. Fest drückte sie das Foto gegen ihre Brust.
Eine Ahnung erwachte in Emma. Bevor Charlotte fluchtartig ihren Schlafraum verlassen hatte, hatten sie über Emmas Vorgängerin gesprochen. »Ist das Ruby?«
Charlie schniefte. Sie rieb ihre Augen und nickte zaghaft. Emma erinnerte sich vage an das blonde Mädchen, mehr nicht. »Du vermisst sie sehr, nicht wahr?«
»Sie war meine beste Freundin.« Charlotte warf einen letzten Blick auf das Foto, lehnte sich zur Seite und schob es unter ihr Kissen.
Dadurch bemerkte Emma einen Zeitungsausschnitt, auf den sich Charlie gesetzt hatte, als sie nach hinten gerückt war. Sie zog ihn unter Charlotte hervor, bevor diese sich wieder aufrecht hingesetzt hatte, und schaute ihn sich an.
Plötzlich raste ihr Herz. Hitzewellen jagten durch ihren Körper, als sie die Schlagzeile las: Mädchen vermisst . Daneben ein Foto von Ruby.
Charlotte riss ihr den Ausschnitt aus der Hand. »Das hättest du nicht sehen sollen. Ich will nicht darüber reden. Hast du verstanden?«
Wie betäubt nickte sie. Ermittelte Christian deshalb?
14
Emma war total aufgewühlt. Aber Charlotte machte komplett dicht, wenn es um Ruby ging. Offensichtlich saß der Schmerz über den Verlust sehr tief. Auch Megan, Holly und Lauren schwiegen, außer dass ihre Freundin von heute auf morgen verschwunden war. Es gab niemanden sonst, den Emma darauf hätte ansprechen können oder wollen.
Emma half dabei Megans Geburtstagsfeier vorzubereiten. Natürlich gab es auch eine offizielle Veranstaltung, aber die interessierte niemanden. Die Lolitas würden den Geburtstag nach ihren Wünschen begehen, was bedeutete, dass es keine gewöhnliche Party werden würde, zumal es noch etwas zu feiern gab: Die Hälfte der Ferien war um. Emma freute sich sehr auf die Nacht, in der die geheime Feier stattfinden sollte, auch wenn sie nicht ahnte, wie wild es zugehen würde.
Als sie um Mitternacht vor der Burgruine stand, die fünfzehn Minuten Fußmarsch vom Internat entfernt im Wald auf einer Anhöhe lag, war ihr schlecht vor freudiger Aufregung. Wie alle Lolitas trug sie nur ein schwarzes Tüllkleid, das mehr zeigte als verhüllte. Masken waren Pflicht in dieser Nacht, um das Event noch mystischer wirken zu lassen. Außerdem sollte die Anonymität dabei helfen, sich gehen zu lassen.
Es brannten lediglich an den Ausgängen und in den Fensterluken schwarze Kerzen, ansonsten spendete nur der Vollmond Licht. Aber noch hatten die Mädchen Champagner, Fingerfood und das Erotikspielzeug nicht angerührt, das sie vorab in der Ruine verteilt hatten. Sie mussten erst noch von Megan eine lustvolle Aufgabe für den mitternächtlichen Maskenball erhalten, denn das hatte sie sich als Geschenk gewünscht.
Emma war als Erste dran, und als sie hörte, dass sie Louis, den französischen Gärtner, vor aller Augen verführen sollte, sank ihre Laune von jetzt auf gleich auf den Nullpunkt.
Aufmunternd gab ihr Holly einen Klaps auf den Allerwertesten. »Das schaffst du schon.«
Emma lächelte gequält. Es war ja nicht nur, dass sie sich nicht vorstellen konnte, vor anderen mit jemandem zu schlafen – der Gedanke war schon erregend, nur würde sie niemals den Mut dazu aufbringen -, sondern auch, dass sie Christian begehrte und nur ihn. Wie konnte sie sich mit Louis vergnügen, während sie in einen anderen verliebt war? Verliebt, jawohl. Trotz der Tatsache, dass Christian ein falsches Spiel spielte, flatterten die Schmetterlinge in ihrem Bauch so wild, dass Emma sie nicht länger ignorieren konnte.
»Denk nicht an deinen Sexpartner«, flüsterte Charlie ihr zu. »Stell deine Lust in den Vordergrund. Hier geht es nicht um Liebe, sondern um Ekstase.«
Scheinbar dankbar nickte Emma. Sie bekam nicht einmal mit, was Charlie, Holly und Lauren machen mussten, sondern dachte nur daran, wie sie Megans Auftrag umgehen konnte. Unglücklicherweise fiel ihr keine Ausrede ein. Sie konnte ablehnen, keiner zwang sie dazu, sich mit Louis zu verlustieren, aber dies war nach der Aufnahmeprüfung erst ihre zweite Aufgabe. Es war ihr zu peinlich, jetzt schon zu versagen.
Megan reichte ihr eine Pfauenmaske. »Louis trägt eine mit schwarzen Federn. Schnapp ihn dir!«
Unglücklich setzte Emma die Maske auf und folgte den anderen in die Ruine hinein.
Die
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