Die Mädchenakademie
hätte seinen Dienstausweis zu Hause lassen können, aber er hatte ihn mitgebracht. Wieso? Um ihn im Notfall vorzeigen zu können. Das bedeutete doch, dass er hinter irgendetwas – oder irgendwem – her war, oder nicht? War er womöglich undercover?
Das kam ihr ziemlich an den Haaren herbeigezogen vor. Hier ging es um das reale Leben und nicht um einen Krimi.
Doch dann fuhr ihr der Schrecken in die Glieder, als sie wieder daran dachte, dass er ihr haargenau dieselbe Frage gestellt hatte wie die Mädchen vor ihrer Aufnahmeprüfung, nämlich die nach ihren geheimsten erotischen Wünschen. Spionierte er den Geheimclub aus? Oder war er gar hinter ihr her?
Die Wohnungstür wurde zugeschlagen. Das Geräusch holte Emma aus ihren Gedanken. Da sie Schritte hörte, steckte sie das Etui rasch und mit zitternden Händen an seinen Platz zurück, kroch unter dem Bett hervor und schlich so schnell sie konnte zum Kleiderschrank, um sich daneben mit dem Rücken gegen die Wand zu drücken, als hätte sie dort die ganze Zeit gestanden.
»Hoodle ist weg.« Christian kam ins Schlafzimmer geschlendert, die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben.
Jetzt begriff Emma, weshalb er nicht mit Hoodle gegangen war: Er durfte sie nicht alleine in seiner Wohnung lassen. Sie hätte seine Sachen durchsuchen können, einfach aus Neugier, oder weil sie sich vergewissern wollte, dass er unverheiratet war, und das musste er unter allen Umständen verhindern.
Emma wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn. Sie beeilte sich, ihre Schuluniform anzuziehen, küsste Christian zum Abschied auf die Wange, damit er dachte, alles wäre in bester Ordnung, und verließ seine Wohnung auf demselben Weg, wie sie sie betreten hatte: durch das Fenster.
Obwohl sie nur den einen Wunsch hatte, ausgiebig zu duschen, bevor der Nachmittagsunterricht begann, eilte sie so schnell die Treppen zum Dachgeschoss hinauf, dass sie Seitenstiche bekam. Der geheime Treffpunkt des Clubs verlor nicht einmal bei Tageslicht seine mystische Atmosphäre. Auf dem Speicher fühlte sich Emma durch die alten Möbel wie in eine frühere Zeit zurückversetzt. Staub wirbelte im Sonnenschein auf, der durch die kleinen Luken fiel. Er kitzelte in ihrer Nase, als Emma begann, den Giebel abzusuchen. Sie wusste nicht einmal, was sie glaubte zu finden.
Es dauerte nur wenige Minuten, und sie entdeckte ein Teil, das auf den ersten Blick wie ein Computerchip aussah. Als Emma es unter einem Schrank hervorzog, um es genauer zu betrachten, erkannte sie sofort, dass es ein Transmitter war. Ihre Cousine Francis hatte mal einen im Internet gekauft, um ihren Freund auszuspionieren, da sie vermutete, dass er fremdging.
Emma legte ihn zurück an seinen Platz, damit Christian nicht Verdacht schöpfte. Auf leisen Sohlen schlich sie sich davon.
Jetzt wusste sie es mit Sicherheit: Christian war hinter Megan, Holly, Lauren, Charlotte und ihr her, oder hinter einer von ihnen. Dass der Direktor ihn beauftragt hatte, bezweifelte sie, da Hoodle alles andere als vertraulich mit ihm umging, wenn sie alleine waren, wie sie gerade erst miterlebt hatte.
Was zum Teufel hatte Christian vor? Wer war er wirklich? Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass er die beiden Ausweise gefälscht hatte und ein Krimineller war.
Emma biss in ihr Badetuch, als sie zu ihrem Zimmer ging, weil sie am liebsten laut geschrien hätte. Es erschien ihr zu gefährlich, Christian direkt auf die Ausweise und den Transmitter anzusprechen, da sie gar nichts über ihn wusste. Den Lolitas konnte sie nichts über ihre Entdeckung sagen, weil sie stinksauer über Emmas Regelbruch wären. Sie würden Emma für den Rest des Sommers einen Spießrutenlauf machen lassen. Im Moment konnte sie nichts weiter tun, als Christian äußerst vorsichtig auf den Zahn zu fühlen. Sie war gezwungen, mehr Zeit mit ihm zu bringen.
Es gab schlimmere Notwendigkeiten.
13
Als Emma die Punkte von Ruby gutgeschrieben bekam, staunte sie nicht schlecht. Ruby war während des Schuljahres das fünfte Mitglied des Geheimclubs gewesen. Sie hatte nicht nur mehr Punkte gesammelt als Charlotte, sondern auch mehr als Lauren.
»Sie hatte mit Holly gleichgezogen.« Charlie lag neben Emma auf dem Bett und schaute durch das weit geöffnete Fenster zum Sternenhimmel auf.
Megan war also die ungekrönte Königin der Lolitas. Diese Erkenntnis versetzte Emma einen Stich, denn sie stellte sich Megan mit Christian vor. Momentan sah es so aus, als würde sie das Rennen
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