Die Mädchenakademie
machen, weil sie die taffste von allen Mädchen war und vor nichts zurückschreckte.
Emma hätte gerne mehr über die Aufgaben erfahren, die die Mädchen bereits absolviert hatten, aber sie hatte nichts aus ihnen herausquetschen können. Auch nicht über Ruby.
Verschwiegenheit ist eine Tugend, das ist eine unserer Regeln , hatte Megan auf dem Speicher gesagt.
Emma hatte eine reelle Chance, den Wettkampf zu gewinnen. Dank Ruby. Während sie Megan, Holly, Charlie und Lauren, die in die Parallelklasse gegangen waren, vom Sehen her kannte, kam der Name Ruby ihr völlig unbekannt vor. Entweder hatte sich das Mädchen für den Club einen knackigen Kosenamen zugelegt, oder sie war unscheinbar gewesen und in der Masse untergegangen.
»Wie habt ihr es nur geschafft, eure Eskapaden fast das ganze Schuljahr über geheim zu halten?«, fragte Emma und blickte zu Charlotte.
Charlie zwinkerte. »Indem wir taktisch wichtige Personen mit einbezogen haben.«
»Lehrer, wie Patrick Conway zum Beispiel.«
»Jason von der Security, Mike, der Kochazubi, Linda aus der Buchhaltung …«
»Danke, ich habe genug gehört«, unterbrach Emma sie. Sagte ihre Freundin die Wahrheit? Wie konnten es die Mädchen so bunt getrieben haben, und Emma hatte es nicht bemerkt? Die fünf waren tatsächlich äußerst diskret gewesen. »Hattet ihr kein schlechtes Gewissen?«
Charlie wurde auf einmal so blass wie der Mond, den sie durch das Fenster sehen konnten, er war fast voll. Ihr Lächeln wirkte verkrampft. »Sie hatten auch ihren Spaß. Wir haben sie nicht ausgenutzt, sondern unsere Lust mit ihnen geteilt.«
»Auch du?« Emma legte sich auf die Seite, um sie anschauen zu können.
»Du meinst, weil ich lesbisch bin?« Als Emma nickte, fuhr Charlie fort. »Rate mal, weshalb ich die wenigsten Punkte habe? Ich würde mich nicht als bi bezeichnen, aber bis zu einem bestimmten Grad empfinde auch ich Lust dabei, einen Mann zu reizen. Es macht mir eine diebische Freude, ihn dazu zu bringen, dass er vor Erregung winselt. Aber ich habe nie mit einem geschlafen.«
»Warum hast du dann beim Club mitgemacht?«
»Um Erotik in allen Facetten kennenzulernen, meinen Horizont zu erweitern, nicht alleine zu sein …« Charlotte klang nicht überzeugend. »Außerdem war Ruby meine Freundin.«
»Dann seid ihr gemeinsam dem Club beigetreten?«, hakte Emma nach. Charlie war ein frühreifes Früchtchen, keine Frage, aber irgendetwas stimmte nicht. Sie war von einem Moment auf den anderen verändert, ungewohnt in sich gekehrt.
Schließlich räkelte sie sich und stand vom Bett auf. »Es ist spät. Ich geh langsam mal in mein Zimmer hinüber.«
Beunruhigt setzte sich Emma auf. »Ist alles in Ordnung?«
Die Rothaarige wandte sich an der Tür um, wich jedoch Emmas Blick aus und schaute aus dem Fenster. »Ich bin nur müde. Die Hitze schlaucht.« Dann ging sie hinaus.
Das erste Mal seit Emma sie näher kannte, war sie nicht der strahlende Sonnenschein. Normalerweise sprühte Charlotte vor Lebenslust und war nie um eine frivole Anspielung verlegen. Doch eben hatte sie verstört gewirkt, als hätte das Gespräch sie aus dem Gleichgewicht gebracht oder alte Wunden aufgerissen.
Hatten ihre Augen nicht sogar feucht geglänzt? Emma konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, weil es recht dunkel im Raum war.
Sie war verunsichert. Da sie Charlie jedoch inzwischen ins Herz geschlossen hatte, sprang sie vom Bett auf und lief ihr hinterher. Was wäre sie für eine Freundin, wenn sie nicht auch in düsteren Zeiten für Charlotte da war? Und die Lolitas insbesondere mussten doch zusammenhalten.
Als Emma vor ihrer Tür stand und sie schluchzen hörte, stürmte sie in Charlies Zimmer. Charlotte riss erschrocken ihre verheulten Augen auf. Etwas fiel ihr vor Schreck aus der Hand. Emma bückte sich danach. Es war das Foto einer jungen Frau. Sie war sehr hübsch, war sich ihrer Schönheit allerdings auch bewusst. Ihr Blick strahlte Selbstsicherheit aus. Mit ihrem makellosen Aussehen hätte sie ohne weiteres bei O.C. California mitspielen können.
Emma reichte ihrer Freundin das Bild.
Gereizt nahm Charlotte es an sich. Sie wischte sich mit dem Saum ihres Nachthemdes die Tränen vom Gesicht, lehnte sich gegen die Wand und zog ihre Beine an. »Kannst du nicht anklopfen?«
»Ich habe gehört, dass du weinst und mir Sorgen gemacht.« Emma bemühte sich, ihre Stimme so einfühlsam wie möglich klingen zu lassen. Es tat ihr weh, Charlie niedergeschlagen zu sehen. Sie setzte sich neben sie.
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