Die Mädchenwiese
nicht?«
Endlich begriff ihr Schwager. Doch während sich Erleichterung auf seinem Gesicht abzeichnete, begann Laura plötzlich haltlos zu zittern. Die Vorstellung, dass es ihre Tochter hätte sein können –
Sie kann es beim nächsten Mal sein! , wisperte eine Stimme in ihr.
»Sie ist es, oder?«, fragte Laura keuchend. »Die Bestie?«
»Noch wissen wir gar nichts!« Franks Blick glitt hinüber zu den Reportern. Sogar einige Dorfbewohner tauchten zwischen den Bäumen auf. Uniformierte Beamte, von denen immer mehr herbeiströmten, drängten die Schaulustigen zurück und errichteten rings um die Lichtung einen Sichtschutz.
Als eine Stimme »Herr Theis!« rief, erkannte Laura sie sofort. Ihr Schwager war sichtlich bemüht, sie zu überhören. Er begab sich hinüber zu Sam, der mit hängenden Schultern zwischen den Bäumen stand, dort, wo Laura ihn zurückgelassen hatte. Schlagartig wurde ihr klar, dass ihr Sohn den gleichen Anblick hatte ertragen müssen wie sie selbst.
»Sam!« Sie folgte ihrem Schwager. »Das da ist nicht Lisa.«
Ihr Sohn sah mit verheulten Augen auf.
»Das ist nicht Lisa!«, wiederholte sie.
»Deine Mutter hat recht«, sagte Frank. »Aber, Sam, sag mir bitte eins. Das ist kein Zufall, dass du die … dass du das Mädchen heute gefunden hast, hab’ ich recht?«
Sam blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
»Du hast sie schon gestern Abend im Wald entdeckt?«
»Was redest du da?«, fuhr Laura dazwischen. »Wieso gestern Abend? Sam war doch bei euch.«
»Nein«, entgegnete Frank, »er hat sich gestern Abend schon einmal aus dem Haus geschlichen.«
»Was soll das heißen? Dass er …«
»Ja, offenbar schon gestern Abend das Mädchen entdeckt hat.« Frank presste die Lippen aufeinander. »Er wollte mir sogar von dem Fund erzählen, er hat geglaubt, es wäre Lisa. Aber ich ließ ihn nicht ausreden, weil ich sauer auf ihn war. Außerdem dachte ich, er spinnt sich nur wieder was zurecht und …«
»Herr Theis!«, unterbrach ihn eine laute Stimme.
Frank nahm Lauras Ellbogen. »Geht jetzt besser.« Er schob Laura und Sam beiseite. »Geht erst einmal zu uns. Renate wird sich um euch kümmern.« Er rief zwei Polizisten zu sich. »Meine Kollegen werden euch begleiten und dafür sorgen, dass die Reporter euch in Frieden lassen.«
»Herr Theis!«
Franks Wangen färbten sich vor Zorn rot. »Und nun geht!«
Noch ehe Laura etwas erwidern konnte, marschierte er auf Alex Lindner zu.
Alex trat einen Schritt zurück, als der Polizist auf ihn zuraste.
»Was …«, stieß Theis hervor, packte ihn am Arm und zerrte ihn ein paar Meter weg in den Wald, bis Bäume und Sträucher sie vor den Blicken der Reporter schützten. »Was habe ich Ihnen heute Mittag gesagt?«
Alex löste seinen Blick von der weißen Plane, mit der die Leiche abgeschirmt worden war. Dass es sich bei der Toten nicht um die vermisste Lisa Theis handelte, hatte er vor wenigen Minuten an der erleichterten Reaktion ihrer Mutter erkennen können.
»Was ist mit der Frau passiert?«, fragte er.
Der Polizist schnaubte. »Hören Sie mir eigentlich …«
»Wissen Sie, ob sie gefoltert wurde? Wurde sie enthauptet?«
»Nein.«
»Nein, weil Sie es nicht wissen? Oder weil sie nicht enthauptet wurde?«
»Nein, weil Sie das einen Scheißdreck angeht.«
»Lassen Sie mich einen Blick auf die Leiche werfen, dann kann ich Ihnen sagen … O Scheiße!«
Ein Windstoß hatte die Plane von der Leiche gefegt und ein groteskes Bild enthüllt, noch ehe ein Uniformierter herbeieilen und es wieder vor den Augen der Umstehenden verbergen konnte.
»Scheiße, verdammt!« Theis schrie einen seiner Beamten an. »Decken Sie sie wieder zu!« Dann funkelte er Alex böse an. »Also, sah das nach Ihrer verdammten Bestie aus?«
Nein, das sah nicht nach der Bestie aus! , dachte Alex. Die Bestie, die Straßenbestie , hatte ihre Opfer nicht unter Tannenzweigen, Ästen und Moos liebevoll zur Ruhe aufgebahrt, sondern wie Dreck am Straßenrand abgeladen, nackt und grausam entstellt, fast so, als wollte sie sichergehen, dass ihr blutiges Werk auch entdeckt und bewundert wurde. Das tote Mädchen auf der Wiese dagegen war –
Das Blut gefror Alex in den Adern.
Sieh die Mädchenwiese!
Nervös nestelte er an der frischen Kleidung, die er gegen die verschmutzte getauscht hatte, kurz bevor er mit Paul in den Wald gerannt war. Die Jeans saß plötzlich zu eng, und der Hemdkragen schnürte ihm die Luft ab. »Und was ist mit Ihrer Nichte?«
»Was soll mit ihr
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