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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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denkt …« Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. »Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Meine Gedanken machen mir Angst. Das ist so … so … Kannst du das verstehen?«
    Er antwortete nicht.
    »Alex?«
    Er wirkte geistesabwesend.
    »Was hast du?«
    Lisa kam kaum voran. Der Regen verwandelte den Waldboden in einen alles verschlingenden Morast. Bei jedem Schritt schmatzte es unter ihren Füßen. Zusammen mit dem Regenprasseln verschluckte es fast sämtliche Geräusche. Sie glaubte das Knacken eines Astes zu hören, irgendwo hinter sich, gar nicht so weit entfernt. Sie lief schneller, auch wenn es ihr so vorkam, als würde sie langsamer werden. Ihr geschundener Körper würde nicht mehr lange gegen die Anstrengungen und die Schmerzen ankommen. Sie würde zusammenbrechen. Regungslos liegen bleiben. Und dann würde das kranke Arschloch sie ein zweites Mal erwischen.
    »Sam«, murmelte sie. »Ich komme!«
    Im selben Moment spürte sie, wie sich etwas um ihre Füße wand. Noch ehe sie die Hände ausstrecken konnte, krachte sie der Länge nach zu Boden. Schlamm spritzte ihr ins Gesicht. Gestrüpp zerkratzte ihr Stirn und Wangen.
    Entkräftet blieb sie liegen. Ihre Glieder sträubten sich gegen jede weitere Bewegung. Der Wind trieb den Regen mit einem triumphierenden Heulen durch den Wald. Wieder knackte Holz, diesmal unmittelbar hinter ihr.
    Sie stierte in die Finsternis, konnte aber nichts erkennen außer den dunklen Schemen der Bäume, die sie vor wenigen Sekunden passiert hatte.
    »Es war nur ein Reh.« Stöhnend kniete sie sich hin. »Oder ein Wildschwein.«
    Sie drehte sich wieder nach vorne – und erschrak über die Gestalt, die mit einem Mal über ihr aufragte und den Arm hob. Trotz ihrer Furcht blieb sie in der Hocke. Niemals hätte sie schnell genug reagieren können, um dem Schlag zu entkommen. Resigniert ließ sie die Arme hängen. Schloss die Augen. Eine Träne mischte sich unter das Regenwasser, das ihre Wangen hinabströmte. Ein Schluchzen löste sich aus ihrer Kehle.
    Jetzt hat dieses Dreckschwein dich also doch noch erwischt! , wisperte eine Stimme in ihr.
    Die Gedanken tobten durch Alex’ Verstand, während der Wind am Holzrahmen der Milchglasfenster rüttelte. »Ich habe mir die falsche Frage gestellt.«
    »Welche Frage?«, erkundigte sich Sams Mutter.
    »Was hast du gerade gesagt?« Er wartete nicht auf ihre Antwort, sondern erklärte: »Du hast gesagt: Man denkt, nicht hier auf dem Lande. Nicht in einem Dorf. Nicht in Finkenwerda.«
    »Ja.« Ihr Gesicht bekam einen verwirrten Ausdruck. »Aber ich verstehe nicht.«
    Alex hatte selbst Mühe, das Durcheinander in seinem Schädel zu durchschauen. Während er mit seinen Fingern am Schorf an seiner Stirn kratzte, konzentrierte er sich auf die Musik, Unfinished Sympathy , einen langsamen Takt, von dem er hoffte, dass er seine Gedanken in ebenso geordnete Bahnen lenkte. »Was, wenn die Bestie niemals weg gewesen ist?«
    Laura zerdrückte die Marlboro-Schachtel zwischen ihren Fingern. Ihr Sohn murmelte im Schlaf, schmiegte sich enger an seine Mutter, als spürte er ihre Nervosität. »Tut mir leid«, sagte sie, »aber ich kapier’s immer noch nicht.«
    Alex’ Gedanken rasten. Was, wenn die Bestie die letzten drei Jahre in anderen Städten weitergemordet hatte? Wenn ihre Opfer aber nie gefunden worden waren? Vor drei Jahren hatte die Bestie die Leichen am Straßenrand entsorgt, damit sie entdeckt wurden. Diesmal aber war ihr Opfer im Wald versteckt, obendrein bestattet wie nach einem Ritual. Warum hatte dieser Wahnsinnige das Mädchen diesmal nicht öffentlich zur Schau gestellt? War es heute nur einem Zufall zu verdanken gewesen, dass Silke Schröder im Wald gefunden worden war? Ein Mädchen aus Kleinmachnow. Ausgerechnet im Wald bei Finkenwerda.
    Und jetzt war mit Lauras Tochter sogar ein junges Mädchen aus Finkenwerda verschwunden und befand sich offensichtlich in den Fängen der Bestie.
    »Nein«, sagte Alex.
    »Was, nein?«, fragte Sams Mutter aufgewühlt. »Jetzt red endlich mit mir!«
    Mittlerweile war er überzeugt davon, dass das kein Zufall war! Nicht nach allem, was ihm die letzten Tage widerfahren war. Die Bestie war nicht nur zurück. Sie war ihm aufs Land gefolgt. In den Spreewald. Nach Finkenwerda. Die Bestie war hier im Dorf. Und sie spielte wieder mit ihm. Sieh die Mädchenwiese!
    »Alex?«, drang Lauras Stimme wie aus weiter Entfernung an sein Ohr. »Es hat an der Tür geklingelt.«
    »Das wird wohl mein Kumpel sein.« Alex

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