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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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»In Berlin müssen sie dafür zur Adoptionsvermittlungsstelle, die der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung unterstellt ist.«
    »Und die rücken die Infos dann einfach so raus?«, fragte Paul.
    Norman lächelte milde. »Jedes Adoptivkind, das seine Volljährigkeit erreicht hat, darf Einsicht in seine Akten nehmen.«
    »Das mag sein«, erwiderte Alex, »nur dass ich gar nicht herausfinden muss, wer meine leiblichen Eltern sind.« Er wedelte mit dem Brief. »Ich weiß es jetzt.«
    »Vorausgesetzt, es stimmt«, warf Ben ein.
    Paul schnaubte. »Warum sollte jemand so einen Brief schreiben, wenn es nicht wahr ist? Was für einen Sinn hätte das?«
    »Vielleicht handelt es sich dabei nur um einen Irrtum«, entgegnete Ben. »Ein Behördenfehler. So etwas darf natürlich nicht passieren, aber in Zeiten knapper Kassen und in Anbetracht der zahlreichen Entlassungen und Personalüberlastung …« Er seufzte theatralisch. »Jeder weiß, dass so etwas sehr wohl passiert.«
    Ja , dachte Alex erleichtert, das ist es! Dieser Brief würde sich bei genauerer Prüfung als Fehler herausstellen. Er faltete den Brief zusammen, schob ihn in seine Gesäßtasche, legte den Kopf wieder in den Nacken und schloss die Augen. Aber das zufriedene Gefühl, das er noch vor kurzem empfunden hatte, wollte sich nicht mehr einstellen.
    »Nein«, sagte er und öffnete die Augen, »das alles ist kein Irrtum. Obwohl speziell dieser Brief sehr wohl ein Irrtum sein könnte.«
    »Hä?« Ben und Paul sahen ihn irritiert an. »Was redest du da?«
    »Versteht ihr nicht? Selbst wenn dieser Brief ein Irrtum ist, bleibt trotzdem eine entscheidende Frage.« Alex wandte sich zu Norman.
    Dieser nickte, als beschäftigte ihn diese Frage schon eine ganze Weile. »Warum befindet sich dein Name überhaupt in einer Adoptionsakte?«
    »Na, du Gartenzwerg!«
    Sam erschrak, als einer der älteren Jungen aus dem Dorf auf einem Mountainbike an ihm vorbeifuhr und mit Zeige- und Mittelfinger ein V formte. Sam hielt die Sandwiches umklammert, während er vorgab, die Tafel an der Bushaltestelle zu studieren. Er war den Tränen nahe. Erst als der Typ sein Fahrrad vor dem Supermarkt abstellte und das Geschäft betrat, wagte Sam wieder einen Blick hinüber zu seiner Mutter.
    Viel zu schnell setzte sie das Auto vom Grundstück seines Onkels zurück. Sie war wieder einmal zu spät und gab Sam die Schuld, weil er zu langsam war. Doch er konnte nichts dafür, dass sein Fuß noch immer schmerzte. Zudem war es ihre eigene Schuld, dass sie den Bus zur Arbeit verpasst hatte. Hätte sie nicht so einen Wirbel um Lisa gemacht, wäre das nie geschehen.
    Sams Schwester war schließlich nur übers Wochenende weggefahren. Sie hatte Sam versprochen, wieder nach Hause zu kommen. Plötzlich fiel ihm ein, dass ihre Mutter nichts von Lisas Ausflug wusste, und er bekam ein schlechtes Gewissen. Allerdings wurde dieser Gedanke dadurch verdrängt, dass er sich fragte, was er die folgenden sechzig Minuten tun sollte. Denn der nächste Bus fuhr nicht gleich , wie Sams Mutter behauptet hatte, sondern erst in einer Stunde. Sam bedauerte, dass seine Mutter häufig Dinge durcheinanderbrachte oder sie schlichtweg vergaß. Meist war sie in solchen Fällen wütend auf ihn. Er hätte sich gefreut, wenn sie ihn wenigstens im Wagen mitgenommen und auf dem Weg nach Berlin vor der Schule abgesetzt hätte. Doch auch daran hatte sie vermutlich nicht gedacht.
    Sam wünschte sich in diesem Moment, seine Schwester wäre bei ihm. Sie hätte gewusst, wie sie die Wartezeit verkürzen könnten. Sam sah, wie der Typ mit zwei Cola-Flaschen wieder aus dem Supermarkt kam und sich auf sein Mountainbike schwang. Er fuhr auf Sam zu, zeigte ihm den Mittelfinger und rief: »Na, du Schwuchtel!«
    Sam verspürte wenig Lust, eine Stunde alleine an der Bushaltestelle herumzustehen. Wer wusste schon, welche Jugendlichen gleich noch vorbeikämen und Gemeinheiten ausheckten.
    Unschlüssig stand er auf dem Bürgersteig, bis er einen Comic entdeckte, der aus einem Mülleimer am Straßenrand herausragte. Es war ein Simpsons-Heftchen, ziemlich abgegriffen, aber noch lesbar.
    Er rollte den Comic zusammen und begab sich von der Dorfstraße auf einen schmalen Pfad, der in den Wald führte. Nach wenigen Metern verließ er den Waldweg, sprang über einen umgestürzten Baum und stapfte durch knisterndes Unterholz zu einer Uferlichtung. Er suchte sich einen sonnigen Platz, der nicht zu sehr von Käfern und Ameisen bevölkert war,

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