Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
Vom Netzwerk:
vergilbte Fotos an der Wand, zwei Spielautomaten, ein Stammtisch in der Ecke, ein Telefonapparat mit einer Wählscheibe unterm Tresen und Holzleuchter, die von der Decke baumelten und mit goldgelbem Licht – und mit sehr viel Entgegenkommen – einen Hauch von Gemütlichkeit verbreiteten. Dennoch war all dies ein wichtiger Teil seiner Vergangenheit und erinnerte ihn an eine andere Zeit. Plötzlich hatte Alex einen Kloß im Hals.
    Gizmo kam hinter der Theke hervor und wedelte mit dem Schwanz. Er sah Alex an, als würde er fragen: Was machen wir jetzt?
    »Wenn ich das bloß wüsste«, sagte Alex.
    »Äh, was?«
    Alex fuhr herum. »Mensch, Paul, wolltest du nicht mit Ben zu Mittag essen?«
    »Ja, doch, gleich.« Paul folgte ihm in die Kneipe. Die alten Dielenbretter knarzten unter ihren Schuhen. »Aber vorher wollte ich mit dir reden.«
    Alex erreichte die Theke, auf der ein Einmachglas mit drei Gewürzgurken stand, eingelegt nach dem Rezept der Frau, von der er nicht mehr sicher sagen konnte, ob sie seine Mutter war. Wie von selbst glitten Alex’ Finger über den Brief in seiner Hosentasche. Das Papier fühlte sich heiß an, als brenne es sich durch den Jeansstoff in seine Haut.
    »Weißt du«, sagte Paul, »ich wollte dich fragen, was du nun vorhast.«
    »Dasselbe wie jeden Tag: die Kneipe aufmachen und …«
    »Nein, nein, das meinte ich nicht.« Paul hielt die Hände vor dem Bauch gefaltet. Er war einen halben Kopf kleiner als Alex, leicht untersetzt und bereits teilweise ergraut. »Ich meinte, falls du … oder Ben … oder ihr beide was wegen deiner … Also, falls ihr was unternehmt.«
    »Das weiß ich noch nicht.«
    »Ja, natürlich, aber … falls doch, weißt du, dann … fände ich es toll, wenn ich dabei wäre. Es wäre eine interessante …«
    »Stopp!«, befahl Alex. »Willst du mir gerade sagen, dass …«
    »… ich darüber schreiben möchte, ja. Ich glaube, es wäre eine interessante Geschichte, mit der ich …«
    Alex stöhnte. »Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, dieser Brief …«
    »Nein, nein, nicht nur der Brief. Alles zusammen, überleg doch mal, du und diese hässliche Sache vor drei Jahren in Berlin. Dein Absturz danach. Dann hast du dich mühsam gefangen. Und jetzt, nach fast fünfunddreißig Jahren, meldet sich dein leiblicher Vater. Diese Geschichte hat alles. Tod, Verzweiflung, Dramatik, ein Happy End, alles, was man sich nur wünschen kann.«
    »Ich wünschte mir, du würdest den Mund halten!«
    »Hey, Mann, versteh doch …«
    »Nein, Paul, entschuldige.« Alex nahm die Nirvana- CD aus dem Rucksack und schob sie in die Stereoanlage hinter dem Tresen. »Es ist nicht einmal eine Stunde vergangen, seit du mir, wohlgemerkt nicht zum ersten Mal, vorgehalten hast, ich hätte diesen Scheiß noch nicht richtig verdaut.«
    »Du weißt, ich bin nur besorgt um dich.«
    »Ja, aber deine Sorge in allen Ehren – wie, bitte, soll ich darüber hinwegkommen, wenn du ständig wieder davon anfängst?«
    Paul öffnete den Mund und setzte zu einer Antwort an, doch Alex tippte die Play-Taste der Hi-Fi-Anlage. Nirvanas Smells Like Teen Spiri t erklang laut aus den Boxen. Alex fühlte sich gleich viel besser.
    Laura starrte bestürzt das Mädchen an, das seine Brüste zu bedecken versuchte.
    »Ich hab’ doch gesagt, Lisa ist nicht hier«, murrte Tommy.
    Laura fragte sich, ob sie nicht erleichtert sein sollte, weil sie ihre Tochter nicht nackt und zugedröhnt in Tommys Bett vorgefunden hatte. Doch sie spürte nur, wie sich ihr Magen zusammenzog. »Wo ist sie denn dann?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    Lauras Handy klingelte. Hastig nahm sie den Anruf entgegen. »Lisa?«
    »Frau Theis?«, meldete sich ihr Chef. »Beim besten Willen, aber das geht so nicht weiter.«
    Laura starrte das Mädchen in Tommys Bett an und wünschte sich, dass es Lisa wäre. Sicherlich wäre es ein Schock gewesen, Lisa nackt und kiffend vorzufinden. Doch das wäre immer noch besser gewesen als diese Ungewissheit. Sie hätten sich gemeinsam auf den Heimweg gemacht, sich unterwegs gestritten, und danach hätte Laura zur Arbeit fahren können.
    »Frau Theis.« Die Stimme ihres Chefs riss sie aus ihren Gedanken. »Warum antworten Sie nicht?«
    Laura stieg die Wendeltreppe hinab und trat hinaus auf die Straße. Hinter ihr warf Tommy die Haustür mit einem Knall ins Schloss.
    »Ich habe vorhin versucht, Sie zu erreichen«, sagte Laura, »aber es war besetzt.«
    »Ja, gut möglich, denn wie Sie wissen, haben wir viel

Weitere Kostenlose Bücher