Die Mädchenwiese
ich hätte keine anderen Sorgen? Ich weiß wirklich nicht, was du dir dabei denkst, aber … Darüber müssen wir reden. Das geht so nicht weiter. Ich hoffe, das ist dir klar.«
Sie legte das Telefon auf den Beifahrersitz und sah in den Rückspiegel. Der Lkw war nur noch ein Punkt am Ende der Landstraße.
»Das hätte mir gerade noch gefehlt«, murmelte sie. Mit zitternden Fingern legte sie den Gang ein und gab wieder Gas. Sie versuchte, sich zu beruhigen; schließlich war niemandem geholfen, wenn sie verunglückte. Weder Lisa noch ihr selbst. Sie mochte gar nicht daran denken, wie ihre Schwägerin reagiert hätte, wenn sie deren Wagen zu Schrott gefahren hätte.
Sie konnte froh sein, dass sie Renates Golf gelegentlich benutzen durfte. Das war nicht selbstverständlich, nicht nach allem, was passiert war. Doch obwohl Lauras Ehe mit Rolf zerrüttet war, verstand sie sich mit seinem Bruder und dessen Frau noch immer sehr gut. Denn auch Frank und Renate missbilligten Rolfs Verhalten – seine Affäre, die Trennung.
An der Dorfstraße in Neu-Heilsdorf standen, anders als in Finkenwerda, in langer Reihe gepflegte Einfamilienhäuser. Kleine Vorgärten, Palisadenzäune, Blumenrabatten, Briefkästen. Laura musste sich kurz orientieren, bis ihr der Weg zum Haus von Tommys Eltern wieder einfiel. Keine fünf Minuten später stand sie vor der Tür und klingelte mehrmals. Doch niemand öffnete.
Entmutigt kehrte sie zum Wagen zurück. Als sie einsteigen wollte, sah sie, wie sich hinter einem der Fenster im oberen Stockwerk das Rollo bewegte. Sofort rannte sie zurück zur Tür, klingelte und klopfte zugleich. »Tommy!« Sie hämmerte noch stärker gegen die Tür. »Lisa!«
Die Tür öffnete sich wenige Zentimeter und gab den Blick auf Tommy frei, der nur Boxershorts trug. »Ist Lisa bei dir?«
»Was?«, fragte er, während er ein Gähnen unterdrückte und sich unter den Achseln kratzte.
»Tommy, war sie dieses Wochenende bei dir?«
»Nee, bin alleine.«
In diesem Moment rauschte im Haus die Klospülung und strafte Tommys Aussage Lügen. Tommy errötete und wollte die Tür zudrücken. Laura kam ihm zuvor und drängte sich an ihm vorbei. »Wo ist sie?«
»Hey!«, rief er überrascht aus, doch Laura lief bereits auf eine Wendeltreppe zu, die ins Obergeschoss führte.
»Frau Theis!«, jammerte Tommy.
Laura eilte die Stufen hinauf.
»Warten Sie!«
Oben angekommen, rannte Laura in das erstbeste Zimmer, dessen Tür nur angelehnt war. Süßer Rauch hing in der Luft. Auf dem Bett lag eine Decke, unter der schwarzen Haare hervorquollen. Mit einem wütenden Ruck riss Laura die Decke herab. »Verflixt, Lisa!«
Eine nackte Frau stieß einen spitzen Schrei aus. Mit ihren Händen bedeckte sie ihre Blöße. Aber sie war nicht Lisa.
Alex entstieg dem BMW , den sein Freund bis vor die Elster gefahren hatte.
»Wir können das Abendessen morgen verschieben«, bot Norman an, »also falls du lieber …«
»Blödsinn!« Alex schulterte seinen Rucksack, befreite Gizmo aus dem Kofferraum und schlug die Klappe zu. »Bis morgen.«
Norman gab Gas, hupte und düste Richtung Brudow davon. Ben und Paul marschierten mit dem Fischeimer und Gizmo im Schlepptau auf eines der verfallenen Gebäude am anderen Ende des Dorfplatzes zu. Ursprünglich hatten sie vorgehabt, im Jugendclub den Fisch zuzubereiten. Doch Alex war der Appetit vergangen. Zudem brannte seine Kopfhaut, er hatte sich auf der Endeavour wohl einen leichten Sonnenbrand geholt. Er rief nach seinem Hund, der ihm nur widerstrebend zur Kneipe folgte. In das Klirren der Haustürschlüssel mischte sich Bens Stimme. »Alex!«
Alex drehte sich um und schirmte die Augen mit der Hand ab. Ben eilte auf ihn zu. »Also, falls wir die Sache mit dem Brief überprüfen wollen …«
»Wozu?«, unterbrach Alex ihn. »Ich denke, wir sind uns einig, dass es kein Irrtum ist.«
»Ja, natürlich!« Ben kratzte sich die unrasierte Wange. »Aber falls du trotzdem meine Hilfe brauchst … Du weißt, wo du mich findest.«
»Ja, danke.« Alex entriegelte die Tür zur Elster . Gizmo drängte sich an seinen Beinen vorbei in das kühle Gebäude, rannte hinter den Tresen und trank aus einem Wassernapf.
Alex hingegen verharrte einige Sekunden im Durchgang, ließ den vertrauten Anblick des Schankraums auf sich wirken. Die Gaststätte hatte die beste Zeit sicherlich längst hinter sich, und traditionel l war nur noch eine höfliche Umschreibung für ihr Interieur: blasse Milchglasfenster, Strukturtapete,
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