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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Oberschenkel. »Zeig mal!«
    »Ach das.« Schnell zog ich den verrutschten Saum meines Kleides hinunter. »Da habe ich mich bei der Küchenarbeit gestoßen.«
    Mutters Kopf fiel zurück aufs Kissen, das so grau war wie ihr Gesicht. Sie schloss die Augen. Mir schoss das Blut in den Kopf, nicht weil sie den blauen Fleck an meinem Bein entdeckt hatte, sondern um ein Haar auch die restlichen Blutergüsse.
    Den Winter über war es leicht gewesen, die blauen und grünen Flecken vor den Augen meiner Mitmenschen zu verbergen. Nun aber, ein Dreivierteljahr nach meiner Hochzeit, brach die warme Jahreszeit an. Umso schwerer fiel es mir, die Wunden mit leichter Kleidung zu verhüllen. Ich ging dazu über, Blusen mit langen Ärmeln und Hosen zu tragen.
    Warum ich das alles auf mich genommen habe? Die Antwort liegt auf der Hand. Ganz einfach: weil Ferdinand mein Mann war.
    Seine Schläge waren zwar ungebührlich, manchmal sogar mehr als das. Aber ich trug doch selber die Schuld daran. Ständig lieferte ich ihm einen Grund, über mich erzürnt zu sein.
    Ich bemühte mich, wirklich, das tat ich jeden Tag aufs Neue. Inzwischen hielt ich Hühner in unserem Garten, damit mir für Ferdinands Abendbrot jederzeit frisches Hähnchenfilet zur Verfügung stand. Ich putzte und wienerte das Haus, manchmal jeden Tag. Ich war ihm nicht böse, dass wir nicht mehr in die Flitterwochen fuhren, auch wenn es mir schwerfiel, meine Betrübnis darüber zu verbergen, aber ich bemühte mich. Wenn mein Mann mich abends nach Berlin ausführte, was nur noch selten geschah, trug ich Kleider, die er am liebsten an mir sah. Danach war ich ihm im Schlafzimmer eine willige Geliebte, egal wie impulsiv und schmerzhaft seine Leidenschaft war. Denn es war doch Liebe. Nur wenn ich sie bedingungslos erwiderte, würde sich alles zum Guten wenden.
    »Nein«, sagte Ferdinand eines Abends vor dem Zubettgehen. Er stand in der Diele, ich war auf dem Weg zur Toilette. »Du wirst nicht zu Reginas Geburtstag gehen.«
    »Aber sie ist meine Freundin.«
    »Und ich bin dein Mann, hast du das vergessen?«
    »Nein«, entgegnete ich zögerlich, »natürlich nicht.«
    »Trotzdem scheinst du zu vergessen, dass ich für uns arbeite und du dich vergnügen möchtest.«
    »Es ist doch nur einmal im Jahr und …«
    »Was ist so schwer an einem Nein zu verstehen?«
    Der Druck auf meine Blase stieg unwillkürlich. Ich lief weiter ins Badezimmer.
    »Warte!«, rief er.
    »Ferdinand, ich muss …«
    »Hast du nicht gehört, du sollst warten, also bleib verdammt noch mal stehen.«
    Ich erstarrte.
    »Was ist so wichtig, dass du nicht warten kannst?«
    »Ich muss auf die Toilette«, wisperte ich.
    »Du gehst, wenn ich es dir sage.«
    »Aber …«
    Ein plötzlicher Hieb schleuderte mich über den Treppenabsatz. Mit der Schulter voran prallte ich auf die Fliesen im Erdgeschoss. Ein gequältes Wimmern drang an mein Ohr. Ich brauchte einige Sekunden, bis ich begriff, dass ich es selbst war, die da heulte.
    »Ich hoffe«, hörte ich Ferdinand durch den dichten Nebel der Schmerzen und des Entsetzens, »das war dir eine Lehre, dich meinen Entscheidungen zu widersetzen.«
    Langsam schritt er die Stufen herab und über mich hinweg. »Du brauchst keine Freundin. Du hast mich.«
    Während ich mich am Fuß der Treppe krümmte, gesellte sich zum ersten Mal noch etwas anderes zu meinen ständigen Zweifeln und Selbstvorwürfen – Angst. Aber ich wollte diese Angst nicht wahrhaben.
    Mein Mann hatte doch recht: Wenn ich nur endlich etwas weniger an mich selbst und mein Vergnügen dächte, stattdessen mehr an Ferdinand, der täglich für mich sorgte, sich zur Arbeit nach Berlin mühte, erst dann würde sich alles ändern. Erst dann würde er glücklich mit mir sein können, so wie früher mein Vater mit meiner Mutter, davon war ich überzeugt.
    Es war nicht einmal gelogen, als ich tags darauf meiner Freundin mitteilte, ich sei erkrankt und könne deshalb nicht zu ihrem Geburtstag kommen. Tatsächlich konnte ich mich nach dem Treppensturz kaum bewegen, ich ging nicht einmal zur Arbeit in die Bäckerei. Auch eine Woche später, als Regina mich auf ein neuerliches Picknick einladen wollte, wich ich aus und erklärte, mir ginge es noch nicht gut, ich hätte viel zu tun in der Bäckerei, mit meiner Mutter, deren Zustand sich verschlechtere, und überhaupt.
    Nein, von all dem war nichts gelogen.
    Kapitel 38
    Alex kaute an einem Schinkensandwich mit Plastikgeschmack, das er sich unterwegs an einer Tankstelle gekauft

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