Die Mädchenwiese
stieß die Tür auf, setzte einen Fuß auf die Straße.
»Ich appelliere nur an deine Vernunft, nichts weiter«, rief Schulze. »Du willst dem Dorf doch nicht schaden, oder? Andernfalls täte es mir leid um die Elster . Dein Vater wäre …«
»Was weißt du schon von meinem Vater?«, knurrte Alex. Nicht einmal er selbst wusste viel von ihm. Er verließ den Wagen und schlug krachend die Tür zu. Der Touareg wendete, dann fuhr er dorfauswärts.
»Was war denn das?«, fragte Paul.
»Scarface.«
»Wie bitte?«
»Ach, egal.« Während Alex den aufgedrehten Retriever streichelte, sah er dem SUV nach. Eine von Schulzes Äußerungen ging ihm nicht aus dem Kopf. Und manchmal lernen die Mädels einen netten Typen kennen, völlig normal. Plötzlich wurde ihm klar, was ihm seit dem Moment, als sie Zack der Polizei überlassen hatten, Sorgen bereitete. Wenn es nämlich stimmte, was der Junge gesagt hatte, dann hatte Zack tatsächlich nichts mit Lisas Verschwinden zu tun.
Zacks Stimme hallte durch seinen Verstand: Sie hatte doch schon ’nen neuen Typen an der Angel … irgendeinen Typen aus … »Paul«, sagte Alex. »Kannst du dich bitte um die Kneipe kümmern?«
»Und du?«
»Ich muss nach Berlin.«
Laura überprüfte ihr Handy. Natürlich, der Akku war aufgeladen. Er hing die ganze Zeit am Kabel und an der Steckdose. Trotzdem schaute sie erneut aufs Display, als könnte sie es allein dadurch, dass sie es lange genug anstarrte, endlich zum Klingeln bewegen. Frank ließ einfach nichts von sich hören.
Ein Hupen riss sie aus ihren Gedanken. Sofort stand sie auf, trat ans Fenster. Es war nur einer der Nachbarn, der von der Arbeit heimkehrte und sich mit seinem Pkw einen Weg durch die Journalisten bahnte, die vor seiner Grundstückseinfahrt standen.
Laura kühlte ihre Schläfe und ihren Nacken mit kaltem Wasser. Es beruhigte sie kaum. Im Badezimmerspiegel begegnete ihr ein Gesicht mit roten und verquollenen Augen, umrahmt von den fettigen Haaren. Es waren inzwischen achtundvierzig Stunden vergangen, seit sie sich das letzte Mal gewaschen hatte. Sie roch nach Schweiß, trug noch immer die alte Jeans und die verwaschene Bluse vom Montagmorgen, als sie Sam zum Bus gebracht hatte, der Anruf der Lehrerin sie erreicht hatte, als dieser Alptraum über sie hereingebrochen war – aus dem es kein Erwachen mehr zu geben schien.
Sie ging hinunter in die Küche. »Vielleicht sollte ich mit den Journalisten reden«, sagte sie.
Ihre Schwägerin sah sie entgeistert an. »Wie kommst du darauf?«
»Ich könnte … an den Entführer appellieren.«
»Frank hat mir von gestern Abend erzählt«, erwiderte Renate. »Vergiss diesen Lindner und seinen Schwachsinn!«
»Ist es das? Schwachsinn?«
»Laura, bitte!«
»Ich kann hier nicht herumsitzen und darauf warten, dass etwas passiert. Irgendetwas, von dem ich nicht einmal weiß, was es ist. Oder ob ich es überhaupt wissen möchte.«
»Laura!« Renates Stimme gewann an Schärfe. »Du machst dich verrückt!«
»Was mach’ ich denn? Ich sorge mich nur um meine Tochter.«
»Das ist Aufgabe von Frank und seinen Kollegen, die …«
»… seit zwei Tagen keinen Hinweis gefunden haben!«, rief Laura.
»Und sie werden noch viel weniger finden, wenn auch du mit der Presse sprichst. Was glaubst du, was dann los ist? Du hast keine Ahnung, was du damit lostrittst.«
»Ja, das hat dein Mann auch schon gesagt. Aber das ist mir immer noch lieber als … Untätigkeit .« Sie ging nach oben unter die Dusche. Das heiße Wasser im Nacken beruhigte ihren aufgewühlten Kopf, schwemmte für einen Moment die Panik hinweg.
Mit neuer Entschlossenheit trocknete Laura sich ab, wählte eine Jeans und eine Bluse aus, die ihre Tochter immer an ihr gemocht hatte, früher, als die Familie noch intakt gewesen war. Während sie sich einen Zopf band, vernahm sie Renates aufgeregte Stimme: »Laura!«
Auf der Straße vor dem Haus brach ein Tumult aus. Laura schob die Lamellen der Jalousie auseinander. Draußen türmten sich düstere Wolken am Himmel. Vorboten eines Sturms. Dann sah sie den Grund für die Aufregung. Augenblicklich schnürte es ihr die Kehle zu.
Kapitel 37
»Was ist das?«, fragte meine Mutter.
»Was?«
Ächzend stemmte sie sich hoch. Die vergangenen Wintermonate hatte sich ihr Zustand verschlechtert. Der Arzt verabreichte ihr Schmerzmittel, die ihren Geist umnebelten. Nur selten hatte sie lichte Momente. Jetzt war einer dieser hellen Augenblicke. Sie richtete die Hand auf meinen
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