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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Waldstück teilweise im Schatten lag. Dazu wehte ein leichter Wind.
    Plötzlich wünschte Sam sich nichts sehnlicher, als dass er sich tatsächlich einfach nur verrückt machte. Aber dann fand sein Blick zurück zu der kleinen Erhebung auf der anderen Seite der Lichtung. Was immer dort lag, mit Zweigen bedeckt, war keine Laune der Natur. Es war von Menschenhand geschaffen. Ein Beweis, dass die vergangene Nacht, die alte Kirchberger, die böse Hexe, sehr wohl real waren.
    Ein junges Mädchen. Ihre Schönheit. Ihr Schmerz.
    Die Sonne verschwand wieder hinter Wolken, so als wäre sie nur zum Vorschein gekommen, um Sam die Wahrheit zu enthüllen. Jetzt war die Welt grau und still – und ziemlich kalt. Sam fröstelte. Alles in ihm schrie danach, umzukehren und nach Hause zu laufen. Doch er fragte sich, wo sein Zuhause war, jetzt da seine Mutter ihn fortgeben wollte, weil Lisa nicht mehr –
    Sein Herz verkrampfte sich. Ihm wurde schwindelig. Daran wollte er nicht denken. Er setzte sich in Bewegung. Anfangs nur ein vorsichtiger Schritt auf die Lichtung. Dann ein zweiter. Ein dritter. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er das Waldstück überquert hatte. Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Zitternd beugte er sich hinab, hob die Zweige an. Er schob etwas Moos beiseite. Ein blutiger Arm, dem die Hand fehlte, kam zum Vorschein. Dann ein nackter Körper.
    Sam erbrach sich. Mit wackeligen Beinen rannte er fort, stolperte durch die Büsche und Sträucher, bis er endlich das Dorf erreichte. Es war ihm egal, dass jeder seine Tränen sehen konnte.
    Alex schlich über den Korridor zur Treppe. Er blieb stehen, lauschte. Gizmo hielt sich dicht neben ihm, die Muskeln angespannt, die Nackenhaare aufgerichtet. Alex setzte den Fuß auf die erste Stufe. Dann auf die zweite. Die dritte. Oben war die Tür angelehnt. Alex konnte sich nicht erinnern, sie geschlossen zu haben. Er konzentrierte sich auf Geräusche.
    Das Brummen einer Boeing brachte die Treppe zum Wanken. Endlos lange hielt das Turbinenheulen an. Nachdem es verklungen war, knurrte der Retriever. Alex legte seine Hand auf die Hundeschnauze. Vorsichtig stieß er die Tür auf. Erst nur wenige Zentimeter. Dann ein Stückchen mehr. Noch eines. Und noch eines.
    Ein harter Gegenstand traf ihn an der Stirn. Alex taumelte rückwärts und ruderte mit den Armen. Er bekam den Türrahmen zu fassen, so dass er sich auf den Beinen halten konnte. Die Welt drehte sich vor seinen Augen. Gizmo bellte und machte einen Satz. Ein dumpfer Schlag. Ein Jaulen. Ein zweiter Hieb. Stille.
    »Gizmo!«
    Schritte, die sich rasch entfernten. Die Eingangstür krachte. Alex kämpfte gegen die Benommenheit an, torkelte in den Flur.
    Gizmo lag auf den Dielen, lang ausgestreckt wie zum Schlaf, die Augen einen Spalt geöffnet, so als wartete er nur auf ein Zeichen seines Herrchens, damit er wieder aufspringen, herumtollen, bellen konnte. Doch das war unmöglich. Aus seiner Brust ragte ein großes Holzscheit. Und unter seinem schlaffen Körper bildete das Blut eine Pfütze.
    Draußen heulte ein Motor auf. Sofort stürzte Alex die Treppe hinunter und ins Freie. Ein Stück weiter raste ein Audi über die Kreuzung davon. Alex sprang in den Peugeot. Mit quietschenden Reifen nahm er die Verfolgung auf. »Ich krieg’ dich, du Scheißkerl, ich krieg’ dich!«
    Er trat das Gaspedal durch. Nur zögerlich gewann Pauls Wagen an Fahrt. »Komm, verdammt, komm schon!«
    Der Audi bog auf die A113 . Als Alex die Auffahrt erreichte, war der Wagen nicht mehr zu sehen. Ohne zu bremsen jagte er den Peugeot in den Halbkreis, dass das Heck auszubrechen drohte. Alex steuerte dagegen, blieb in der Spur. »Ich bring’ ihn um, ich bring’ diesen Scheißkerl um!«
    LKW s hupten, als Alex sich in den fließenden Verkehr einfädelte. Er trat auf das Gaspedal, aber der Audi war schneller. Und viel zu weit weg. Doch dann scherte ein Laster vor ihm auf die linke Spur, um zwei Sattelschlepper zu überholen, so dass der Audi-Fahrer das Tempo drosseln musste. »Jetzt hab’ ich dich!«
    Plötzlich fuhr der Audi quer über die Autobahn nach rechts und zwang einen Van zum Ausweichen. Reifen quietschten, der Van schleuderte. Schon zog der Audi auf dem Standstreifen an den LKW s vorbei.
    Alex zögerte nicht, seinem Beispiel zu folgen, umkurvte den Van und schoss ebenfalls über den Standstreifen. Er hatte den ersten Truck bereits hinter sich gelassen, als er die nächste Abfahrt auf sich zurasen sah. Der Audi allerdings war bereits

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