Die Maenner vom Meer - Roman
stoßen.
»Mein Freund Poppo liebt die starken Gebärden«, schmunzelte König Harald. »Ich denke, er wird sich selber zu helfen wissen, denn so schlimm kann es nicht kommen, daß Poppo nicht einen Ausweg findet.« Dann dankte er Gilli für seinen Bericht und bat Björn, den Sklavenhändler in eines der Nebengebäude zu geleiten, wo man Gäste niederen Standes unterzubringen pflegte.
Während sie über den Hof gingen, sagte Gilli: »Dir, Björn Hasenscharte, soll ich von Poppo ausrichten, daß du dich um deine Frau und die Kinder nicht zu sorgen brauchst. Außer Gottes Schutz, um den er täglich bäte, stünden sie auch unter seinem eigenen, undseine besondere Fürsorge gelte der inzwischen voll erblühten Vigdis, deiner Tochter.«
»Das ist eine gute Nachricht, Gilli«, sagte Björn. »Hat er dir sonst noch etwas aufgetragen?«
»Nur dies«, antwortete Gilli. »Aber da ich nicht weiß, was es bedeuten soll, bin ich nicht sicher, ob ich es richtig wiedergebe. Er sagte, das dir Beschiedene sei nicht unerschöpflich und könne bald zur Neige gehen, wenn du dein Schicksal mit dem eines Glücklosen verknüpfst. Ergibt das für dich einen Sinn?«
»Ich muß darüber nachdenken«, erwiderte Björn.
»Doch befriedige nun meine Neugier«, sagte der Sklavenhändler. »Nach allem, was man hört, war es deine freie Entscheidung, Haus und Familie zu verlassen und mit Harald nach Jütland zu ziehen. Welchen Nutzen versprichst du dir davon?«
»Ob es eine freie Entscheidung war, sei dahingestellt«, sagte Björn. »Aber ich will nicht leugnen, daß sie mir durch die Aussicht erleichtert wurde, Zeuge großer Ereignisse zu sein. Ein Geschichtenerzähler muß Neues erleben, will er seine Zuhörer nicht mit Wiederholungen langweilen oder sich gar dem Verdacht aussetzen, er habe sich seine Geschichten zusammengelogen. Ist deine Frage damit beantwortet, Gilli?«
»Ich bin auf meinen Reisen vielen merkwürdigen Menschen begegnet«, sagte Gilli kopfschüttelnd, »aber ich habe noch keinen getroffen, der das Abenteuer sucht, um daraus Geschichten zu machen.«
Mittlerweile waren sie vor dem Haus angelangt, in dem der Sklavenhändler wohnen sollte. Björn öffnete die Tür und rief in das Dunkel: »Hier kommt Gilli der Russe, König Haralds Gast!« Drinnen erstarb ein vielstimmiges Tuscheln.
Gemessen an seiner Ausdehnung und der Zahl seiner Gebäude war Jelling nicht größer als der Hof eines Großbauern. Als aber das Frühjahr kam und die Wege wieder passierbar geworden waren, zeigte sich, daß es der Mittelpunkt des Reiches war. Aus allen Himmelsrichtungen strömten Menschen herbei und verlangtenaus vielerlei Gründen, zum König vorgelassen zu werden. Es waren Verwandte aus Haralds weitverzweigter Familie, Abgesandte mächtiger Jarle und fremder Fürsten, Häuptlinge, darunter so berühmte wie Ulf der Ungewaschene und Ivar von Skaneyrr, die gekommen waren, Harald ihre Dienste anzubieten, aber auch solche, deren Fälle auf keinem Thing mehr verhandelt wurden und die sich nun vom König selbst einen gerechten Schiedsspruch erhofften. Nur wenigen öffnete sich das Tor in der Palisadenwand, und von diesen war es wiederum nur einer Handvoll Ausgewählter vergönnt, dem König von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Die übrigen ließen sich rings um den Hof in Zelten, mit Zweigen und Grassoden überdachten Erdmulden oder unter freiem Himmel nieder und vertrieben sich die Zeit mit Spielen, Raufereien und lärmenden Trinkgelagen. Wie jede Menschenansammlung wirkte auch diese anziehend auf andere, die sich den Wartenden zugesellten, weil es ihnen ein wohliges Gefühl der Zugehörigkeit vermittelte oder ihre Geschäfte von jener Art waren, die mitunter ein rasches Verschwinden in der Menge erforderte.
Nun hielt es auch König Harald nicht länger in seinem Schlafgemach. Er ließ sich ankleiden und trat, aus zusammengekniffenen Augen in die ungewohnte Helligkeit blinzelnd, auf den Hof hinaus. Sogleich stürzten all jene herbei, die bislang vergeblich darauf gewartet hatten, vom König empfangen zu werden. Einige, die von weither gekommen und mit den Gebräuchen am Hof von Jelling nicht vertraut waren, sah man vor Harald auf die Knie fallen und die Spitzen seiner Schuhe küssen. Der König, dem solch unterwürfiges Gebaren sonst zuwider war, nahm es mit sichtlicher Genugtuung hin, und als nun auch das Volk draußen vor dem Hof laut seinen Namen zu rufen begann, glitt ein Lächeln über sein zerknittertes Gesicht. Ungeachtet
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