Die Maenner vom Meer - Roman
seiner Gebrechlichkeit bückte sich der König, half den Knienden hoch und schritt dann beinahe beschwingt seinen Gästen voran in die große Halle. Dort nahm er auf dem Hochsitz Platz, dessen mächtige Pfosten bis zur Decke emporragten. Zu beiden Seiten des Hochsitzes befanden sich zweiweitere, eine Armlänge niedriger und mit schmalerer Sitzfläche. Der eine war für die Königin bestimmt, der andere für den Thronfolger. Aber beide blieben leer, denn Sven war, wie sich inzwischen herumgesprochen hatte, nach Westen über das Meer gefahren, und Hallgerd, hieß es, weigere sich halsstarrig, auf einem Platz zu sitzen, den sie als unbequem und wegen des augenfälligen Höhenunterschieds als ihrer nicht angemessen empfand. Doch dies schien Harald nicht zu bekümmern; er wies den Sitz zu seiner Rechten Ivar von Skaneyrr zu, den anderen einem Verwandten namens Odinkar, der zu den reichsten Goden des Landes zählte, und überließ es Bue dem Dicken, die übrigen so auf die Bänke zu verteilen, daß jeder den Platz bekam, der ihm nach Stand und Ansehen gebührte.
Als seien ihm während des langen, untätig verbrachten Winters neue Kräfte zugewachsen, entwickelte Harald eine ungewöhnliche Beredsamkeit. Mit gefälligen Worten und Versprechungen suchte er die Großen des Reiches für seinen Plan zu gewinnen, bei günstiger Gelegenheit mit einem riesigen Heer und einer um das Zehnfache vergrößerten Flotte nach Süden vorzustoßen und dem Sachsenkaiser nicht nur die Stadt, sondern das ganze Land bis zur Elbe wieder abzunehmen. Vom Schwung der eigenen Rede hingerissen, nahm er sogleich eine Aufteilung des Gebietes südlich vom Danewerk vor, wobei er ein um so größeres Stück Landes versprach, je mehr Männer und Schiffe die Häuptlinge zu stellen bereit seien. Er selbst, Harald, beanspruche für sich nur die Hammaburg, die, wie jeder wisse, zwar stark befestigt, aber als Handelsplatz bei weitem nicht so bedeutend sei wie die Stadt am Ende der Förde.
Noch nie hatte Björn den König so wortreich und mit solcher Inbrunst reden hören, aber dennoch lockte er damit keine Zustimmung, geschweige denn Begeisterung hervor. Mochte er auch auf staunenswerte Weise verjüngt erscheinen, wie er da, alle überragend, auf dem Hochsitz saß und seine Worte mit großen Gebärden unterstrich, er war ein alter kranker Mann, dieser König, und weit schlimmer noch: Das Glück hatte ihn verlassen. Davon sprach keiner, doch Harald wußte das Schweigen zu deuten, das ihm entgegenschlug,und er sah ein, daß dem Reden Taten folgen mußten, wollte er nicht das Schicksal eines glücklosen Herrschers erleiden.
So kam es, daß Harald Blauzahn seine Getreuen um sich sammelte und Jelling verließ, um sein eigenes Land zu unterwerfen.
4
IM SOMMER SCHLOSS SICH ein Kreis in Björns Leben: Er stand wieder vor Skjalm Hvides Hof Doch diesmal war das Tor verrammelt, und zwischen den Spitzen der Palisaden lugten Männer hervor und nahmen mit Staunen wahr, daß er sich schutzlos in die Reichweite ihrer Speere begab.
»Öffnet das Tor und führt mich zu Skjalm Hvide«, rief Björn zu den Männern hinauf. »Ich habe ihm eine Botschaft des Königs zu überbringen.«
»Bedient sich Harald Blauzahn für derlei Dienste neuerdings Halbwüchsiger, weil es ihm an Männern fehlt?« ließ sich eine tiefe Stimme vernehmen. Kurz darauf erschien Skjalm Hvides mächtiger, von grauem Haar umwucherter Kopf über der Palisadenwand.
»Mir ist, als hätte ich dich schon einmal gesehen, kleiner Mann«, sagte der Jarl.
Björn nannte seinen Namen und brachte sich als einer von Thormods Gefährten in Erinnerung, die einst Skjalm Hvides Gäste gewesen seien. Nun aber stünde er im Dienst des Königs, und dieser schicke ihn, um seinen Besuch anzukündigen.
»Sag ihm, er käme mir ungelegen«, antwortete Skjalm Hvide. »Ich habe mehr als zweihundert Männer bei mir, und bis zum Abend wird sich ihre Zahl verdoppelt haben. Wo sollte ich noch Harald Blauzahn unterbringen, zumal ich annehme, daß er nicht allein kommt?«
»Der König hat nichts davon verlauten lassen, daß er Skjalm Hvide in größerer Begleitung zu besuchen gedenkt«, sagte Björn. »Aber es würde ihn sicherlich verstimmen, wenn er vor verschlossenem Tor stünde. Und wer weiß, ob er nicht auf den Gedanken kommen könnte, Skjalm Hvides Gastfreundschaft zu erzwingen?«
»Wenn ich sage, daß mir sein Besuch ungelegen kommt, heißt das nicht, daß ich nicht auf ihn vorbereitet bin«, erwiderte der Jarl. »Denn die
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