Die Maenner vom Meer - Roman
Dann wandte er sichwieder Sven zu und fragte: »Wann gedenkst du dich mit deinem Heer nach Dänemark einzuschiffen, Vetter?«
»Dir dürfte nicht verborgen geblieben sein, daß ich mit meinem Vater im Streit liege, lieber Vetter«, antwortete Sven. »Kürzlich wurde mir sogar zugetragen, er trachte mir nach dem Leben. Kannst du mir verdenken, daß ich keine Eile habe, nach Dänemark zurückzukehren, sondern gern noch eine Zeitlang hierbliebe, bei Menschen, die mir, obwohl ich nur weitläufig mit ihnen verwandt bin, Vertrauen und Zuneigung entgegenbringen?« Dabei sah er Melkorka an und streichelte sie mit den Augen.
»Du selbst sollst mein Gast sein, solange du es willst, Vetter«, sagte Aethelred. »Auch Skarthi und deinen Geschichtenerzähler sähe ich gern unter meinen Hausgenossen. Aber ich kann kein fremdes Heer in meinem Land dulden, noch dazu eines, das in meinen Untertanen höchst unliebsame Erinnerungen weckt. Ich will auch nicht verschweigen, daß mir Gerüchte zu Ohren gekommen sind, nach denen du dich mit der Absicht tragen sollst, mir den Thron streitig zu machen, doch gebe ich nichts auf solches Geschwätz, denn dein Ehrgeiz wird durch deine Klugheit im Zaum gehalten, und es wäre mehr als unklug, gegen ein Heer zu kämpfen, das deinem an Zahl weit überlegen ist. Schick also deine Männer nach Hause und laß uns in Ruhe darüber nachsinnen, wie ich dir meinen Dank abstatten kann, lieber Vetter.«
»Wer mehr als einmal für seine Klugheit gerühmt wird, sollte sich fragen, ob man ihn nicht für einen Dummkopf hält«, schmunzelte Sven. »Sieh, lieber Vetter, meine Männer und ich haben gute Arbeit geleistet, wir bedürfen der Erholung, und diese glauben wir eher bei Freunden zu finden als jenseits des Meeres, wo man uns für Verräter hält. Was aber dein Heer betrifft, so scheinst du es gut versteckt zu halten, denn bislang sah ich nur einige hundert unzulänglich bewaffneter Männer, die hinter Torkels breitem Rücken Schutz suchten.«
»Es kostet mich weniger Zeit, ein Heer aus dem Boden zu stampfen, als Odinkar braucht, um seine Männer aus dem Nordenheranzuführen, lieber Vetter«, erwiderte Aethelred gelassen. »Aber schau dir meine Schwestern an und sage mir, ob du dich nicht doch entschließen kannst, eine von ihnen zur Frau zu nehmen.«
Aller Augen richteten sich nun auf Aethelreds Schwestern, die in einer Reihe neben dem König saßen. Sie hatten Lippen und Wangen grellrot geschminkt und trugen schwere goldene Kämme im hochgetürmten Haar. Drei von ihnen waren hager, die vierte war fülliger, sie hatte ein rundes, etwas schwammiges Gesicht, und ihre Augen waren von schwarzen Wimpern beschattet. Dies verlieh ihr einen Hauch von Anmut, doch der Zufall wollte es, daß sie der Königin am nächsten saß und somit noch gnadenloser dem Vergleich mit Melkorkas Schönheit ausgesetzt war als ihre Schwestern. Björn sah, wie Svens Blick sie nur flüchtig streifte, dafür aber länger, als es die Höflichkeit erlaubte, auf der Königin haften blieb.
»Ich werde dir York dazugeben, wo du, wie ich höre, sehr beliebt bist«, sagte Aethelred und beugte sich vor, um Svens Blick auf sich zu lenken.
»Gib mir deine Frau, Vetter«, sagte Sven.
Aethelred nahm die Krone ab und fuhr mit den ringgeschmückten Fingern durch sein schütteres Haar. Sein Mund öffnete sich, aber statt zu gähnen, stieß er einen Laut hervor, den außer einem alten Diener niemand zu deuten wußte, denn dieser füllte sein Glas mit bernsteinfarbenem Lebenswasser, und der König trank es in einem Zug leer.
»Hast du gehört, was er gesagt hat?« fragte er Melkorka.
»Ich bin nicht sicher, ob ich deinen Vetter richtig verstanden habe«, antwortete sie.
»Er will dich«, sagte Aethelred. Nun richtete er seine wäßrigblauen Augen auf Sven Gabelbart. »Soviel ich weiß, soll es unter Wilden üblich sein, daß ein Mann dem anderen seine Frau überläßt. Demnach wäre zu fragen, ob du mich für einen Barbaren hältst oder dich selbst als einen solchen zu erkennen geben möchtest.«
»Ich will sie nicht für immer haben, nur für eine Nacht«, entgegnete Sven ruhig.
»Das ist ungeheuerlich!« stöhnte Aethelred auf und griff sich mit beiden Händen an die Schläfen. »Was sagst du dazu?« fragte er seine Frau.
»Dein Vetter hält mich für eine Hure«, antwortete die Königin.
»O nein, Melkorka«, widersprach Sven. »Aber du bist so schön, daß ich das Glück, bei dir zu liegen, nicht länger als eine Nacht ertragen könnte,
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