Die Maenner vom Meer - Roman
Tisch gesetzt hatten. »Obgleich sie mit allem ausgestattet ist, was eine Jungfrau begehrenswert macht, erntet sie größere Bewunderung durch Fähigkeiten, die man gemeinhin von einem Mann erwartet. Sie kann das Schwert so schnell schwingen, daß man drei in der Luft zu sehen glaubt; sie schießt mit dem Bogen und trifft jedesmal ins Ziel; sie springt höher, als sie lang ist, und rückwärts nicht kürzer als vorwärts; sie schwimmt wie ein Seehund, und daher kommt es selten vor, daß sie bei Wettkämpfen mit Jünglingen unterliegt. Wenn du nun aber in meinen Worten einen schwärmerischen Ton zu hören vermeinst, so laß dir sagen, daßmich dies alles eher mit Sorge erfüllt. Denn welcher Mann würde ein Weib zur Frau nehmen, das ihm in männlichen Fertigkeiten überlegen ist?«
»Es gelingt dir trotzdem schlecht, deine Begeisterung zu verbergen, Poppo«, schmunzelte Björn. »Könnte es daran liegen, daß du ihr Lehrmeister warst?«
»Ich habe sie Lesen und Schreiben gelehrt«, antwortete Poppo. »Wir haben gemeinsam das Buch der Bücher studiert, oft ganze Nächte hindurch. Manchmal sprachen wir zur Erholung auch von anderen Dingen. So erzählte ich ihr beiläufig, daß ich als Jüngling keiner Rauferei aus dem Wege ging. Darüber wunderte sie sich so sehr, daß ich, um nicht als Lügner zu erscheinen, genötigt war, mich in Einzelheiten zu ergehen. Nun gab sie keine Ruhe mehr, bis ich mich bereit fand, ihr dieses und jenes beizubringen. Doch nie hätte ich geglaubt, daß meine Unterweisung auf derart fruchtbaren Boden fallen würde.«
»Du weißt viel über Vigdis zu berichten, Poppo. Aber meine Frage hast du noch nicht beantwortet. Wo ist sie? Weißt du es nicht, oder hast du einen Grund, es mir zu verheimlichen?«
Der Bischof griff zum Becher, führte ihn zum Mund und stellte ihn naserümpfend auf den Tisch zurück. »Was ich mit Bestimmtheit sagen kann, ist dies, mein Sohn: Vigdis ist verschwunden; alles andere weiß ich vom Hörensagen. So wird berichtet, Vigdis habe sich von deinem Bruder Tore ein Boot ausgeliehen und sei allein auf das Meer hinausgesegelt. Vor der Südküste Seelands soll sie Gilli dem Russen auf einem Achtruderer begegnet sein und ihm erzählt haben, das Schiff habe sie mitsamt der Besatzung von einem Seeräuber namens Thorgrim Flachnase bekommen. Da nun Gerüchte, so sehr sie auch aufgebauscht sein mögen, meist ein Körnchen Wahrheit in sich bergen, berechtigen sie uns immerhin zu der Hoffnung, daß Vigdis noch am Leben ist.« Nach einer Weile setzte er hinzu: »Ich liebe sie wie eine Tochter, deshalb blutet mir das Herz, daß ich versäumte, ihrem Tatendrang mit geistlicher Ermahnung entgegenzuwirken. Und du, mein Sohn, siehst michtief beschämt vor dir sitzen, versprach ich doch, sie wie meinen Augapfel zu hüten.«
»Ich mache dir keine Vorwürfe, Poppo«, antwortete Björn. »Nach allem, was ich hörte, befandst du dich in einer schlimmen Lage. Wie hättest du dich bei allem Unglück, das dir geschah, noch um andere Menschen kümmern können?«
»Du bist barmherziger, als man es von einem Heiden erwarten sollte, lieber Freund«, sagte der Bischof dankbar. »Aber du hast recht: Von allen Prüfungen, deren mich der Allmächtige unterzog, war dies eine der schwersten. Ich war nahe daran, ihn zu verfluchen, als ich bis zum Hals im Kot steckte, und ich werde ihn bis an mein Lebensende dafür preisen, daß er mich durch ein Wunder vor dieser Sünde bewahrte.«
»War es wirklich ein Engel, der dich aus der Grube holte?«
Auf Poppos rotem Gesicht breitete sich Heiterkeit aus, während er zugleich die Augenlider zusammenkniff. »Die Leute sagen es«, antwortete er, »und da es fraglos mit Gottes Zustimmung geschah, daß die Mönche mich in die Scheiße warfen, ist es nicht mehr als recht und billig, daß er mich von einem Engel wieder herausholen ließ.«
Am nächsten Tag wurde bekannt, daß König Harald im Schutz der Dunkelheit in die Stadt gekommen war und mit seinen Gefolgsleuten in Bues des Dicken Haus Wohnung genommen hatte. Kurze Zeit später trafen Haralds Gespielinnen ein, unter ihnen auch Nanna. Königin Hallgerd, hieß es, sei in Jelling geblieben, weil sie sich unpäßlich fühle. Wir vermuten jedoch, daß sie nicht in die Auseinandersetzung zwischen zwei Männern einbezogen werden wollte, von denen sie dem einen durch Neigung, dem anderen durch ihr Wort verbunden war.
Der König, erzählte Bues Gesinde, sei in übler Laune. Ohne Grund teile er Schläge aus und ergehe
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